Nephilim
verstummte. Bhrorok fühlte kaum noch den knochigen Körper des Dämons in seiner Pranke, der atemlos unter dem Gestrüpp hervorschaute. Er sah den Schatten seines Wolfs nicht mehr, und er hörte nicht die Eisblumen, die von seinen Fingern aus auf den See zukrochen und ihn langsam vereisten. Er sah nichts als den Engel, und es schien ihm, als würde er in einen verkratzten Spiegel schauen, einen Spiegel, der verborgen in der Ecke eines zugestellten Zimmers stand und dessen Bild im ersten Augenblick gar nicht aussah wie von einem Spiegel entworfen. Die Haut des Engels war silbriges Licht, doch darunter, das fühlte Bhrorok, lag Dunkelheit, und seine Hände, die zart und reglos im Wasser trieben, kannten nicht nur Sanftmut und Demut. Vor ihm stand ein Krieger, ein Thron des dritten Chors der ersten Hierarchie, und für einen Moment gab es nichts mehr, das sie unterschied – abgesehen von einer winzigen, weit zurückliegenden Entscheidung für das, was auf der anderen Seite lag. Doch dann lächelte der Engel, kaum merklich zwar, aber mit einer Erhabenheit, die Bhrorok wie eine Ohrfeige den Kopf zur Seite schlug. Glühend flammte der Zorn hinter seiner Stirn auf, er warf seinen Begleiter zu Boden, der sich zaghaft aufgerichtet hatte, und sprang mit einem heiseren Schrei aus dem Unterholz.
Sofort erhob der Engel sich ebenfalls in die Luft. Kurz standen sie sich gegenüber, die Arme erhoben, die Köpfe tief geneigt, ohne sich dabei aus den Augen zu lassen, und Bhrorok sah, wie sich der Leib des Engels veränderte. Risse überzogen seine Haut, seine Schwingen entflammten zu weißem Feuer, und seine Augen drehten sich nach innen und glotzen milchig weiß in die Dunkelheit. Seine Wangen fielen ein, als würde jede Ahnung von Schönheit aus seinem Körper weichen, und an seinen Armen, in seiner Brust, seinem Hals und selbst in seinem Gesicht öffneten sich Schlitze in seinem Fleisch, aus denen aufgerissene goldene Augen zu Bhrorok herüberstarrten. Gleißendes Licht brach aus ihnen hervor, es traf Bhrorok an der Schulter, an Armen und Hüfte und schleuderte ihn ins Unterholz zurück. Er hörte, wie die Strahlen die Bäume hinter ihm in Brand setzten, noch ehe er die Wunden fühlte, die das Feuer des Engels ihm geschlagen hatte. Wutentbrannt ballte er die Faust und hieb die Strahlen entzwei, als wären sie Speere aus Glas. Er sprang auf die Beine, um ihn herum loderten die Bäume in weißem Feuer, dessen Flammen nach ihm schnappten wie giftige Schlangen. Mit einem Brüllen, das das Wasser des Sees aufwühlte, erhob er sich in die Luft und stürzte sich auf den Engel.
Eine schwarz flackernde Peitsche schoss aus seiner Faust, krachend schmetterte sie einen Flammenzauber des Throns zurück und grub sich tief in dessen Fleisch an Hals und Brust. Außer sich zog Bhrorok ihn zu sich heran, fühlte das Licht der tausend Augen auf seiner Haut heller werden und zwang sich gleichzeitig, nicht darauf zu achten. Er schlug seine Finger in die Schulter des Throns, so tief, dass er auf Knochen stieß, und hörte mit Genugtuung den Schmerzensschrei des Engels. Lähmend kroch Bhroroks Gift in seinen Körper, doch da riss der Engel den Kopf zurück. Seine Augen rollten nach vorn, sie waren golden wie das Licht der Sonne. Bhrorok starrte sich selbst ins Gesicht, für einen Moment – einen winzigen Moment nur – erschrak er vor diesem Anblick. Sein Gesicht war eine Fratze aus Tod. Gleich darauf fühlte er die gleißend hellen Strahlen in seinen Augen. Er schrie auf vor Schmerz, plötzlich war alles hell um ihn herum, so hell, dass er es nicht ertrug. Er spürte einen Schlag vor die Brust, flog durch die Luft und tauchte tief ins Wasser des Sees ein. Atemlos schlug er um sich, doch gerade als das Licht des Engels jede Dunkelheit in ihm verbrannt hatte, brach der Schein zusammen.
Finsternis flutete Bhroroks Leib wie kühle Luft seine Lunge, als er aus dem Wasser tauchte. Keuchend fuhr er sich über die Augen, weiße Flecken tanzten vor seinem Blick. Doch er sah den Engel, wie zu Eis erstarrt stand er da, den Blick fassungslos auf seine Brust gerichtet. Und da erkannte Bhrorok es auch – das winzige, etwa fingerdicke Loch knapp oberhalb des Herzens, und den dicken Leib der Schnecke, der sich schmatzend tiefer ins Fleisch bohrte. Bhrorok hörte, wie sich ihre Fühler in den Körper des Engels gruben, wie sie sein Herz erreichten und nach einem einzigen Biss in tausend weitere Leiber zersprangen, die sich in rasender Geschwindigkeit über ihr
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