Nephilim
mein Zuhause zugerichtet wurde von diesem … diesem … « Kaya ballte die rechte Faust, ihre Augen traten vor Wut hervor, und sie sah aus, als würde sie Haselnüsse zwischen ihren Kiefern zermahlen. Gleich darauf schüttelte sie ihre Hand und öffnete den Mund, dass es knackte. Dann sah sie Nando an, zum ersten Mal vollkommen ernst. Ihre Augen leuchteten leicht in der Dämmerung seines Zimmers, und es schien ihm, als würde sie ihm mit sanfter Geste über die Wange streichen, obwohl sie noch immer auf dem Spiegel saß, weit über ihm und vollkommen regungslos.
»Nando«, sagte sie, und er meinte, die Klänge der Geige zu hören, die ihn wie warme Schleier umfingen. »Yrphramar war dein Freund, das weiß ich. Er war auch der meine. Er war ein Außenseiter in seinem eigenen Volk und ein Verhasster unter den Dämonen, er war ein Wanderer zwischen den Welten und ständig darum bemüht, das Gleichgewicht zu halten, innerlich wie äußerlich. Lange Jahre habe ich mit ihm in seiner Einsamkeit verbracht, in einer fremden, falschen Welt. Ich habe ein Gespür dafür entwickelt, welche Art von Kreaturen, Menschen wie andere Geschöpfe, es dort oben gibt, und eine Sorte ist mir besonders aufgefallen: Das waren die Sehnsuchtswesen. Sie haben eine Ruhelosigkeit in sich, eine Einsamkeit, die niemals ganz verschwindet, und damit sind sie mir in meinem tiefsten Inneren verwandt. Denn auch ein Dschinn wird niemals ganz irgendwo zu Hause sein, denn wir sind Geschöpfe der Luft, der Erde, des Feuers oder des Wassers, und wir sind wandelbar, frei und heimatlos. Ich wusste lange nicht, ob du auch zu diesen Wesen zählst, denn du bist nicht leicht zu knacken, schwerer als die meisten jedenfalls. Doch als du eben hereingekommen bist, über und über mit Wunden bedeckt, und ich deinen Blick sah, mit dem du das Mädchen angeschaut hast und ihren Bruder … Ich habe deine Sehnsucht nach der Musik gespürt, nach einem Wort, einem Ton nur von dieser Stadt. Ein Dschinn ist ein Begleiter für die Heimatlosen, Nando. Und ab heute bin ich die Begleiterin für dich.«
Mit diesen Worten flog sie zu ihm hinab, und als sie einen Zauber murmelte und ihre Finger auf seine Stirn legte, meinte er, Yrphramar in ihren Augen zu erkennen. Er stand auf der Straße im Regen, die Arme zu beiden Seiten erhoben, den Kopf in den Nacken gelegt – und er lachte aus vollem Hals, lachte so laut, dass Nando meinte, seine Stimme als prasselnde Freude in seinem Inneren widerhallen zu fühlen.
»Ich weiß nicht, ob ich der richtige Umgang bin für dich«, sagte er und stellte zu seiner Überraschung fest, dass seine Glieder auf einmal weit weniger heftig schmerzten als noch vor einem Moment. »Vor mir liegt eine gefährliche Reise, so viel ist sicher, und … «
»Ich bin eine Dschinniya und keine hilflose Puppe«, erwiderte Kaya und verzog den Mund zu einem schnippischen Lächeln. »Ich bin eine Kreuzung aus einem Luft-Dschinn und einer Feuer-Dschinniya, und Bhrorok hat nicht nur Jagd auf dich gemacht, vergiss das nicht. Er hat mir Yrphramar genommen, und er hat mein Zuhause zerstört. Auf der ganzen Welt wirst du keinen Dschinn von Ehre treffen, der das mit sich machen lässt.«
Nando lächelte ein wenig. Dann streckte er die Hand aus und ließ Kaya auf seinem Arm landen. Sie war schwerer, als er erwartet hatte, und sie lachte leise über sein erstauntes Gesicht.
»Wir werden uns gut verstehen«, sagte sie und kletterte auf seine Schulter, »solange du kein Wort über mein Gewicht verlierst.«
Nando lachte, doch ehe er etwas erwidern konnte, hörte er ein lautes Poltern vor seinem Fenster. Erschrocken schaute er hinaus und sah gleißende Raketen, die in die Dämmerung der Höhlendecke geschossen wurden. Zahlreiche Bewohner Bantoryns waren auf den Straßen, Brücken und Plätzen der Stadt unterwegs, und Nando dachte an Silas und Noemi, die gerade in diesem Moment irgendwo in der Menge standen und zu den funkensprühenden Farben hinaufschauten, um die Ritter der Garde zu feiern.
»Morgen ziehen sie wieder in die Oberwelt und die Gänge der Schatten«, flüsterte Kaya an seinem Ohr, und Nando hörte die Traurigkeit in ihrer Stimme. »Morgen begegnen sie wieder Hass und Zorn.«
Mit raschem Sprung eilte sie auf die Geige zu und verschwand in dem Instrument, das sich gleich darauf in die Luft erhob. Zart flog der Bogen über die Saiten, doch erst als Nando sie in die Hände nahm und zu spielen begann, strömten die Töne hinaus in die Nacht und vermischten sich mit
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