Nephilim
heruntergekommenen Häusern, und häufig waberte roter oder grüner Nebel unter den Türen hindurch auf die Straße, wo er sich geisterhaft um Nandos Beine schlang, als wollte er ihn in eines der Häuser ziehen und hinab in die Tunnel unter der Stadt. Nekromanten lebten noch immer in diesem Viertel, ebenso wie Alchemisten und Hexen, und nicht nur einmal meinte Nando, das dunkle Murmeln von Beschwörungen zu hören, das durch die dünnen Fenster drang. Vereinzelt kamen ihnen finstere Gestalten entgegen oder tauchten so plötzlich hinter ihnen auf, dass sie erschrocken zusammenfuhren, doch während Kaya die Arme um den Körper zog und etwas näher an Nandos Hals heranrückte, fühlte Nando beinahe so etwas wie Abenteuerlust. Von Antonio hatte er bereits einiges über das Viertel der Schlangen gehört, von verbotenen Beschwörungen über düstere Séancen bis hin zu dem berüchtigten selbst gebrannten Olyg, einer Art Branntwein. Häufig waren ihm die düsteren Gestalten des Schlangenviertels bereits in der Oberstadt begegnet, und anders als die anderen Bewohner hatten sie ihn nie mit feindseligen Blicken gemustert. Stets hatte ein mehr oder minder verhangenes Interesse in ihren Augen gelegen, bisweilen auch eine kalte Neugier, die Nando einen Schauer über den Rücken gejagt hatte. Diese Wesen, so schien es ihm, hatten in Abgründe geblickt, die ihnen tiefer und dunkler erschienen als alles, was er, der Teufelssohn, bedeuten konnte, und dieser Umstand verschaffte ihm ein befreiteres Atmen als unter den feindlichen Augen der Oberstadt.
»Wo wohnt Morpheus denn genau?«, flüsterte Kaya fast unhörbar, als würde sie befürchten, die Aufmerksamkeit des ganzen Viertels zu erregen, wenn sie auch nur einen Deut lauter sprach.
Nando zuckte mit den Schultern. »Das hat er mir nicht gesagt. Ich denke, dass wir nach ihm fragen müssen.«
Kaya stieß die Luft aus. »Großartig. Ich erinnere mich noch daran, wie ich vor Ewigkeiten mit Yrphramar auf einem Markt hier unten herumgeirrt bin und von einer Ecke zur nächsten geschickt wurde, nur um ein paar lächerliche schwarze Schlangenzähne zu finden. Beinahe gefressen wurde ich dabei, jawohl, und zwar von einem Leguan von mindestens dieser Größe!«
Sie breitete die Arme aus, so weit sie konnte, und schlug Nando dabei gegen das Ohr.
Seufzend verdrehte er die Augen. »Wenn du dich fürchtest, kannst du dich gern in die Geige zurückziehen«, sagte er, doch sofort riss Kaya entrüstet die Augen auf.
»Glaubst du etwa, ich hätte Angst?«, rief sie und zuckte vor dem Widerhall ihrer Stimme an den finsteren Gebäuden zusammen. »Na gut, und wenn schon«, zischte sie missmutig. »Aber Ängste sind dafür da, dass man sich ihnen stellt, nicht wahr? Eine Dschinniya ist kein Wesen, das sich vor anderen fürchtet. So ist das.«
Den letzten Satz wiederholte sie noch einmal, als wollte sie ihn vor sich selbst bekräftigen, und nickte entschlossen. »Da drüben«, murmelte sie. »Vielleicht fragst du dort nach dem Weg.«
Sie deutete auf eine Kneipe in einem schiefen Gebäude, dessen Bleiglasfenster keinen Blick ins Innere erlaubten. Nur flackerndes rotes Licht warf sich dagegen, und raues Gelächter drang durch die halb geöffnete Tür auf die Straße. Nando holte Atem. Er roch den schweren, würzigen Geruch von Tabak und trat ein.
Die Kneipe war verwinkelt und so verraucht, dass Nando kaum zwei Schritte weit sehen konnte. Die Gäste waren nicht mehr als dunkle Schemen an den rustikalen Tischen, deren Gesichter sich im dichten Qualm verloren. Für einen Moment schien es ihm, als würden die Gespräche verstummen und unzählige unsichtbare Blicke sich aus dem Dunst auf ihn richten. Doch der Moment währte nur kurz. Kaya nieste lautstark, aber niemand schien ihnen mehr Beachtung zu schenken.
Nando schob sich zwischen einigen Gästen hindurch an den Tresen, wo der Rauch ein wenig schwächer war, und nickte dem Barmann, einem untersetzten Nephilim mit fleischigem Gesicht und vereinzelten braunen Haaren auf seinem ansonsten kahlen Schädel, freundlich zu. Er trug ein schwarzes, mit bronzenen Knöpfen versehenes Hemd und eine Schürze aus Leder über seinem runden Bauch. Für einen Moment kniff er die Augen zusammen und ließ seinen Blick über Nandos Gesicht wandern. Dann nickte er ohne jede Spur eines Lächelns und trat näher.
»Ich bin auf der Suche nach Morpheus«, sagte Nando und legte sieben Alvre auf den Tresen. Niemals hätte er gedacht, dass der Wirt sich so schnell bewegen
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