Nervenflattern
entgegen. Sie sah aus, als wäre es am Abend zuvor nicht bei einem Bier geblieben. Lenz hielt ihr die Tür auf.
»Hallo Frau Dr. Driessler. War Ihr Abend so, wie Sie ihn sich vorgestellt hatten?«
Sie sah ihn verdutzt an.
»Fast. Aber als Bruder im Geiste wissen Sie sicher, was ich meine.«
Damit ging sie an ihm vorbei. Hain sah ihr verwirrt nach.
»Die?«
»Ich weiß nicht, was du meinst, Thilo.«
Hain wurde seinen blöden Gesichtsausdruck bis zum Wagen nicht los.
»Aber die ist doch furchtbar, Paul. Eine Psychotante!«
Bingo, dachte Lenz.
33
Zum Veterinäramt in der Breitscheidstraße brauchten sie keine fünf Minuten. Der Leiter war nicht im Haus, deswegen wurden sie von seinem Stellvertreter empfangen.
»Das ist ein Name, an den hier niemand mehr erinnert werden möchte«, schwadronierte er auf Lenz’ Frage nach Simone Tauner.
»Wieso?«
»Sie hat mit ihrem Verhalten unseren guten Ruf auf Jahre hinaus geschädigt. Sie hat sich kaufen lassen.«
Peter Freudenstein, der stellvertretende Leiter des Veterinäramtes Kassel, wäre in jedem Heimatfilm als Dorfmetzger durchgegangen. Er war kugelrund, hatte ein rotes Bluthochdruckgesicht, und sein weißer Kittel schnürte ihn ein wie eine Wurstpelle.
»Erzählen Sie mehr.«
»Da gibt es gar nicht viel mehr zu erzählen, das meiste haben Sie vermutlich schon letztes Jahr aus den Medien erfahren.«
Er holte japsend Luft.
»Frau Tauner war ungefähr acht Jahre bei uns. Sie wäre eigentlich eine gute Mitarbeiterin gewesen, wenn man nur die fachliche Qualifikation bewertet hätte, aber leider kam man mit ihr ganz schlecht aus. Sie war, wie man heute so schön sagt, eine Zicke.«
»Wie hat sich das bemerkbar gemacht?«
»Nun, am Ende wollte keiner mehr mit ihr arbeiten. Unsere Leute gehen immer zu zweit in die Betriebe, die kontrolliert werden, und es fand sich irgendwann niemand mehr, der mit ihr im Team arbeiten wollte.«
»Gut, aber das beantwortet nicht meine Frage, Herr Freudenstein.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie sagten, Frau Tauner sei eine Zicke, haben aber nicht erklärt, woran Sie das festmachen würden.«
Wieder versuchte Freudenstein, durch intensives Luftholen genügend Sauerstoff in seine Lungen zu pressen.
»Wir sind hier in der Hauptsache Männer, Herr Kommissar. Frau Tauner war, als sie hier anfing, die einzige Frau. Da sagt man als Mann schon mal was, aber sie hätte es ja nicht gleich persönlich nehmen müssen. Im Veterinäramt wird nun mal ein derber Stil gepflegt.«
Lenz schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Gut. Hat sich Frau Tauner in den letzten Monaten, in denen sie hier beschäftigt war, verändert?«
»Wäre schön gewesen, aber als wir sie überführt hatten, ist alles nur noch schlimmer geworden mit ihr.«
»Wer hat sie überführt?«
»Wir. Die Kollegen. Im Zuge des Fleischskandals vom letzten Jahr, den ich übrigens immer noch für aufgebauscht halte, stellte sich heraus, dass die Tauner in einem Kühlhaus für Geld die Augen zugedrückt hatte. Das konnten wir natürlich nicht hinnehmen und haben sie fristlos entlassen.«
»Wie meinen Sie das, alles sei noch schlimmer geworden?«
»Als sie ihre Sachen abgeholt hat, hat sie uns ganz unverhohlen gedroht. Sie wird uns auffliegen lassen, hat sie geschrien. Aber hier gibt es nichts zum Auffliegen lassen. Das einzige schwarze Schaf war sie, und das haben wir aussortiert.«
»Hm«, machte Lenz.
»Wie ist es weitergegangen, nachdem Frau Tauner ›aussortiert‹ war?«
»Es wurde ja damals eine Task Force ins Leben gerufen, die bis in dieses Frühjahr hinein das Sagen hatte. Mittlerweile hat sich die Situation zum Glück wieder beruhigt, und wir können unserem Job normal nachgehen.«
»Ohne Task Force?«, fragte Hain.
»Verstehen Sie mich nicht falsch, meine Herren. Wir kennen unsere Betriebe seit vielen Jahren und wissen, auf wen wir uns verlassen können und bei wem wir genauer hinschauen müssen. Das Problem der Task Force war, dass sie zentral arbeitete und die Bedingungen hier vor Ort gar nicht kennen konnte.«
»Von wem hat Frau Tauner denn Geld angenommen?«
»Der größte Schlachthof hier in der Region wurde von Frau Tauner kontrolliert. Dort sind große Mengen bedenklicher Partien sichergestellt worden. Der Betreiber hat dann zugegeben, dass er sie mit Geld davon überzeugt hatte, nicht so genau hinzusehen.«
»Gab es einen Prozess?«
»So weit ich weiß, nicht. Man hat sich geeinigt, wie das im Geschäftsleben so geht.«
»Hm«, machte der
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