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Nesbø, Jo - Harry Hole - 02

Nesbø, Jo - Harry Hole - 02

Titel: Nesbø, Jo - Harry Hole - 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kakerlaken
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die Birne im »L« den Geist bereits aufgegeben hatte und dem Ort eine Tristesse verlieh, die Harry u nweigerlich an Imbissstuben in der norwegischen Provinz denken ließ.
    Das Motel war den am erikanischen Vorbildern nachempfun-den, mit Innenhof, ringsherum liegenden Doppelzimmern und Parkmöglichkeiten unmittelbar vor jeder Tür. An der Hauswand verlief eine Veranda, auf der di e Gäste in grauen wasserflecki-gen Korbstühlen Platz nehmen konnten.

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    »Ein trauriger Ort.«
    »Sie mögen es nicht glauben, ab er als das hier während des Vietnamkriegs eröffnet wurde, war es eines d er gefragtesten
    Etablissements in der Stadt. Gebaut für geile amerikanische R & R-Soldaten. «
    »R&R?«
    » Rest and Rehabilitation. Gerne auch I & I genannt: Inter-course and Intoxication. Sie haben sie von Saigon aus zu eine m Zweitagesurlaub herübergeflogen. Ohne die US-Ar my wäre die Sexindustrie heute nicht das, was sie ist. Eine der Straßen hat sogar ganz offiziell den Namen Soi Cowboy erhalten.«
    »Warum sind sie dann nicht da geblieben? Das klingt doch fast wie bei ihnen zu Hause.«
    »Die Soldaten m it dem größten Heimweh wollten es am liebsten richtig amerikanisch treiben. Das heißt entwede r im Auto oder in einem Motelzimmer. Deshalb wurde diese A nlage hier gebaut. Im Zentrum konnten sie sich am erikanische Autos leihen. In den Zimmern hatten sie damals sogar ausschließlich amerikanisches Bier.«
    »Mein Gott, woher wissen Sie das alles?«
    »Meine Mutter hat es mir erzählt.«
    Harry wandte sich ihr zu, aber obgleich die funktionierenden Buchstaben von »Olympussy« einen bläulichen Schimm er auf ihren Schädel warfen, war es zu dunkel, um ihren Gesichtsausdruck zu erkennen. Sie setzte sich eine Schirmmütze auf, ehe sie in die Rezeption ging.

    Das Motelzimmer war einfach ei ngerichtet, zeigte aber mit seiner schmutziggrauen Seidentapete noch immer Spuren besserer Zeiten. Harry lief ein Schauer über den Rücken. Nicht wegen des gelben Anzugs, der eine nä here Identifikation der L eiche unnötig machte, denn nur christlich konservative Politiker 47

    trugen freiwillig solche Anzüge. Auch nicht wegen des Messers mit den orientalischen Ornam enten, das die Anzugjacke so fest an den Rücken geheftet hatte, dass sie über den Schultern eine unschöne Beule warf. Der Grund war ganz einfach: Es war eiskalt.
    Crumley hatte erklärt, das Ha ltbarkeitsdatum von Leichen in diesem Klima sei extrem kurz. Als sie erfahren hatten, dass sie beinahe zwei volle Tage auf den norwegischen Detective warten sollten, hatte sie deshalb Order gegeben, die K limaanlage voll aufzudrehen, das hieß zehn Grad und maximale Ventilation.
    Doch das konnte die Fliegen nich t abhalten. Sie flogen brum -
    mend auf, a ls die zwei jungen Po lizisten die Leiche vorsichtig auf die Seite drehten. Atle Moln es gebrochener Blick starrte über seinen Nasenrücken, als versuchte er die Spitzen seiner Ecco-Schuhe zu sehen. Der jungenhafte Pony ließ den Botschafter jünger aussehen als seine 52 Jahre. Er fiel ihm sonnengebleicht in die Stirn, als wäre noch immer Leben in ihm.
    »Verheiratet und eine Tochter im Teenageralter«, sagte Harry.
    »Von denen war keiner hier, um ihn zu sehen?«
    »Nein. Wir haben die norwegisch e Botschaft informiert, die die Nachricht an die Familie weitergeben wollte. Bis jetzt haben wir nur Order erhalten, dass keiner hier rein darf.«
    »Jemand von der Botschaft?«
    »Die Botschaftsrätin, aber an ihren Namen erinnere ich m ich nicht mehr …«
    »Tonje Wiig?«
    »Ja, das war’s. Sie blieb ganz cool, bis wir ihn um drehten, damit sie ihn identifizieren konnte.«
    Harry musterte den Botschaf ter. War er ein schöner Mann gewesen? Ein Mann, der, wenn man von dem fürchterlichen Anzug und den Rettungsringen am Bauch absah, das Herz einer jungen Botschaftsrätin schneller schlagen lassen konnte? Seine 48

    sonnengebräunte Haut hatte ei nen gelblichen Schimm er und seine blaue Zunge schien sich durch seine Lippen schieben zu wollen.
    Harry setzte sich auf einen Stuhl und sah sich um. Das Aus sehen verändert sich rasch, wenn ein Mensch stirbt, und er hatte genug Tote gesehen, um zu wisse n, dass es nichts brachte, sie lange anzustarren. Die Geheimnisse, die die Persönlichkeit eines Menschen verraten konnten, hatt e Atle Moln es längst mitgenommen, zurückgeblieben war nur eine leere, verlassene Hülle.
    Harry schob den Stuhl ans Bett. Die zwei jungen Bea mten
    beugten sich über ihn.
    »Was sehen Sie?«, fragte

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