Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
froschartig.
»Werden Sie jetzt nicht schw ierig, Wang. Wer mit dem Mord nichts zu tu n hat, hat n ichts zu befürchten. Und Personen des öffentlichen Lebens schon gar nicht. Ehrenwort. Los jetzt, legen Sie das Buch auf den Tisch.«
Das Buch war ein kleiner Notiz block und Harry blickte rasch über die dichtbeschriebenen Ze ilen mit unbegreiflichen Thai-Zeichen.
»Einer von den anderen wird eine Kopie davon m achen«, sagte er.
Die drei anderen standen wartend am Mercedes. Die Scheinwerfer waren eingeschaltet word en und im Lichtkegel vor dem Wagen lag auf dem Boden der geöffnete Koffer.
»Haben Sie etwas gefunden?«
»Sieht so aus, als habe der Botschafter abweichende sexuelle Interessen gehabt.«
»Ich weiß schon. Tonya Harding, das nenne ich schräg.«
Harry blieb wie angewurzelt vo r dem Koffer st ehen. In dem gelben Licht der Scheinwerfer kamen die Details der Schwarz-weiß-Fotografien zum Vorschein. Mit einem Mal begann er zu frieren. Natürlich hatte er davon gehört, ja sogar einen Bericht darüber gelesen und mit Kollegen der Sitte darüber gesprochen, 61
doch es war das erste Mal, da ss Harry sah, wie ein Kind von einem Erwachsenen gefickt wurde.
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KAPITEL 8
Sie fuhren über die Sukhum vit Road, an d er Hotels m it drei Sternen, Luxusvillen und W ellblechhütten Seite an Seite lagen.
Harry sah nichts davon. Sein Blick war offensichtlich auf einen Punkt vor ihnen gerichtet.
»Der Verkehr fließt jetzt besser«, sagte Crumley.
»O ja.«
Sie lächelte, ohne ihre Zähne zu zeigen.
»Sorry, in Bangkok reden wir über den Verkehr wie anderswo über das Wetter. Sie müssen nicht lange hier wohnen, um zu verstehen, warum. Das Wetter ändert sich bis Mai nicht mehr. Je nach Monsunlage beginnt es irgendwann im Sommer zu regnen.
Und dann schüttet es drei Monate. Mehr gibt es über das Wetter nicht zu sagen. Abgesehen davon, dass es warm ist. Und darauf weisen wir uns das ganze Jahr
über hin, ab er eine rich tige
Unterhaltung wird selten daraus. Hören Sie zu?«
»Hm.«
»Der Verkehr dagegen. Der hat mehr Einfluss auf die Bewoh-ner von Bangkok als ein paar kräftige Taifune. Ich weiß nie, wie lange ich brauche, um zur Arbeit zu kommen, wenn ich mich morgens ins Auto setze, es ist alles möglich, von 40 Minuten bis zu vier Stunden. Vor zehn Jahren habe ich einm al 25 Minuten gebraucht.«
»Was ist in der Zwischenzeit geschehen?«
»Wachstum. Immer m ehr Wachstum. Die letzten 25 Jahre waren ein kontinuierlicher W irtschaftsboom und Bangkok ist Thailands Kuckucksei geworden. Hier gibt es Arbeit und hierher kommen die Menschen aus den Dörfern auf dem Land. Jeden Morgen mehr, die zur Arbeit wollen, mehr Münder, die gestopft, mehr Waren, die transportiert werden m üssen. Die Zahl der 63
Autos ist e xplodiert, aber die Politiker versprechen uns bloß neue Straßen und reiben sich die Hände über die guten Zeiten.«
»An guten Zeiten ist aber doch nichts Schlechtes?«
»Es ist nicht so, dass ich den Menschen die Farbfernseher in ihren Bambushütten nicht gönne, ab er das alles ist so wahnwit-zig schnell gegangen. Und wenn Sie mich fragen, hat Wachstum nur um des W achstums willen d ie gleiche L ogik wie eine Krebszelle. Manchmal bin ich richtig froh darüber, dass wir im letzten Jahr die Grenze erreic ht haben. Seit der Abwertung der Währung scheint jem and die W irtschaft eingefroren zu haben und das merkt man bereits am Verkehr.«
»Sie wollen sagen, dass es vorher noch schlimmer war?«
»Aber sicher. Sehen Sie da …«
Crumley deutete zu ein em gigantischen Parkplatz, auf dem Hunderte von Lastwagen und Betonmischern standen.
»Vor einem Jahr war dieser Pa rkplatz beinahe leer, doch jetzt baut keiner mehr, so dass die Flotte stillgelegt ist, wie Sie sehen.
Und in die Shoppingcenter gehen die Menschen bloß noch, weil es da Klimaanlagen gibt. Sie haben aufgehört einzukaufen.«
Sie fuhren eine Weile schweigend weiter.
»Was glauben Sie, wer steckt hinter all dieser Scheiße?«, fragte Harry.
»Die Währungsspekulanten.«
Er sah sie verständnislos an. »Ich rede von den Bildern.«
»Oh.« Sie nickte ihm kurz zu. »Die haben Ihnen nicht gefallen, oder?«
Er zuckte mit den Schultern. »I ch bin ein intoleranter Mann.
Manchmal denke ich, es wäre si nnvoll, sich w ieder Gedanken über die Todesstrafe zu machen.«
Die Kommissarin sah auf die Uh r. »Auf de m Weg zu Ihrer Wohnung kommen wir an einem guten Restaurant vorbei. Wa s halten Sie von einem Blitzkurs in
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