Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
Nachricht war von Bj arne Møller. Er wünschte Harry Glück, das war alles. Es hörte sich nicht so an, als spräche er gerne auf Anrufbeantworter.
Harry blieb liegen und blinzelte in s Dunkel. Er hatte sich das Sixpack schließlich doch nicht ge kauft. Und es zeigte sich, dass die B12-Spritzen doch im Koffer lagen. Nachdem er sich in Sydney so ultimativ abgeschossen hatte, waren seine Beine vollkommen gefühllos gewesen, doch eine einzige dieser Spritzen hatte ihn wiederauferstehen la ssen wie einen Lazarus. Er seufzte. Wann hatte er eigentlich diesen Entschluss gefasst? Als er die Nachricht von dem Auftrag in Bangkok erhalten hatte?
Nein, das musste davor gewese n sein, schon vor ein paar Wochen hatte er eine Art Schlu
ssstrich gezogen: an S øs’
Geburtstag. Mochten die Götter wissen, warum er sich so entschieden hatte. Vie lleicht war er es ein fach leid, nicht wirklich da zu sein. Dass die Tage verstrichen, ohne ihm guten Tag zu wünschen. Irg endwie so etwas. Er verkraftete d ie alte Frage nicht mehr, warum Jeppe jetzt nicht trinken wollte. Denn egal, es war wie imm er, wenn Ha rry einen Entschluss gefasst hatte, dann stand er fest, war un erbittlich endgültig. Keine Kompromisse, keine Ausnahmen. »Ich kann von einem Tag auf 70
den anderen aufhören.« Er hatte so oft gehört, wie sich seine Saufkumpanen bei Schrøder selbst zu überzeugen versuchten, dass sie nicht schon längst Vollblut-Alkoholiker waren. Er selbst war das ganz ohne Zweifel, aber trotzdem war er der Einzige, der tatsächlich dazu in der Lage war, aufzuhören, wenn er wollte. Der Geburtstag war erst in neun Tagen, aber da Aune recht hatte mit seiner Äußerung, diese Dienstreise sei ein guter Zeitpunkt, hatte er ihn ein bissche n nach vorne verlegt. Harry stöhnte und drehte sich auf die andere Seite.
Er fragte sich, was Søs jetz t machte, ob sie es heute Abend gewagt hatte, auszugehen. Ob sie, wie versprochen, Vater angerufen hatte. Und falls ja, ob er es geschafft hatte, mit ihr zu reden, mehr als nur ja und nein.
Drei Uhr vorbei, doch obgleich es in Norwegen jetzt erst neun war, hatte er seit fas t anderthalb Tagen nicht m ehr richtig geschlafen und sollte eigentlich ohne Probleme Schlaf finden können. Aber jedes Mal, wenn er die Augen schloss, erschien das Bild eines kleinen, nackten Thai-Jungen im Licht der Autoscheinwerfer auf seiner Netzh aut, so dass er es vorzog , sie noch eine Weile geöffnet zu halt en. Vielleicht hätte e r sich dieses Sixpack doch kaufen sollen. Als er endlich einschlief, hatte die morgendliche Rushhour auf der Taksin Rridge bereits begonnen.
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KAPITEL 9
Nho kam durch den Haupteingang der Polizeiwache, blieb aber stehen, als er den großgewachsenen, blonden Polizisten sah, der lauthals versuchte, sich m it dem lächelnden Wachm ann zu unterhalten.
»Guten Morgen, Mister Hole, kann ich Ihnen helfen?«
Harry drehte sich um. Seine Augen waren klein und blutunter-laufen.
»Ja, Sie können mich an diesem Sturkopf vorbeibringen.«
Nho nickte dem Wachmann zu, der einen Schritt zur Seite trat und sie passieren ließ.
»Er hat behauptet, er habe m ich von gestern nicht wiederer-kannt«, sagte Harry, als sie vor dem Aufzug s tanden. »Mann, der muss sich doch von einem auf den anderen Tag an m ich erinnern.«
»Nicht unbedingt. Sind Sie sicher, dass er es war, der gestern dort Dienst hatte?«
»Auf jeden Fall jemand, der ihm ähnlich sieht.«
Nho zuckte mit den Schultern.
»Vielleicht denken Sie ja, dass alle Thai irg endwie gleich aussehen?«
Harry wollte etwas erw idern, als er das gequälte, säuerliche Lächeln auf Nhos Lippen wahrnahm.
»O.k. Sie wollen m ir zu verstehen geben, dass für Sie alle Weißen gleich aussehen?«
»Nein, nicht ganz. W ir sehen schon einen Unterschied zw ischen Arnold Schwarzenegger und Pamela Anderson.«
Harry zeigte seine Zähne. Er mochte den jungen Polizisten.
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»O.k., verstanden. 1:0 für Sie, Nho.«
»Nho?«
»Nho, ja, das war doch Ihr Name, oder?«
Nho schüttelte lächelnd den Kopf.
Der Fahrstuhl war überfüllt und stank. Es war ein Gefühl, als würde man sich in ein en Sack mit schmutzigen Trainingsklei-dern drücken. Harry überragte di e anderen um zwei Köpfe.
Einige blickten zu dem hoch aufgeschossenen Norweger empor und lachten beeindruckt. Einer von ihnen fragte Nho etwas und sagte dann: »Ah, Norwa y … that’s … that’s … I can’t rem ember his name … please help me.«
Harry lächelte und versuchte, in einer bedauernden
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