Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
bloß an sich herab und beobach-tete, wie sich sein geblüm tes Hemd und seine weiße Hose rot färbten.
»Das ist echte Thaiseide, wissen Sie«, sagte er. »Nicht billig.«
Sein Gewaltausbruch hätte ihn beruhigen sollen, doch stattdessen spürte Harry seine Wut nur weiter aufwallen.
»Sie können es sich wohl leisten, Sie Scheißpäderast. Ich gehe mal davon aus, dass man Sie gut bezahlt für diesen Mist.« Harry trat gegen die Bilder am Boden.
»Na ja, ich weiß nicht«, sagte Løken und presste sich ein weißes Taschentuch gegen die Nase. »Nor maler Beamtentarif, plus Auslandszulagen.«
»Wovon reden Sie?«
Wieder blitzte ein Goldzahn auf. Harry spürte, dass er den Schaft der Pistole derart fest umklammerte, dass seine Hand zu schmerzen begann. Er war froh, das Magazin entfernt zu haben.
»Es gibt ein paar Dinge, die Si e nicht wissen, Hole. Sie hätten das vielleicht früher erfahren sollen, aber Ihre Polizeipräsidentin hielt das für überflüssig, weil es n ichts mit Ihrem Mordfall zu tun hat. Aber jetzt bin ich ja enttarnt, so dass Sie eigentlich auch 270
den Rest erfahren können. Die Polizeipräsidentin und Dagfinn Torhus haben mich über die Bilder informiert, die Sie im Koffer von Molnes gefunden haben, und Sie haben jetzt natürlich erkannt, dass diese Bilder von mir stammen.« Er breitete die Arme aus. »Diese und die andere n Bilder, die Sie hier sehen, sind Teil einer Ermittlung in einem Fall von Pädophilie, der aus bestimmten Gründen bislang un ter Geheimhaltung steht. Ich überwache diese Person jetzt seit mehr als sechs Monaten. Die Bilder sind das Beweismaterial.«
Harry brauchte nicht nachzudenken. Er wusste, dass das stimmte. Alles fiel an seinen Platz, als hätte er es die ganzeZeit über gewusst. Die Heim lichtuerei um Løkens Job, die Fotoausrüstung, das Nachtsichtgerät, di e angeblichen Fahrten nach Vietnam und Laos, das alles passte zusammen. Und der blutende Mann vor ihm war plötzlich ke in Feind m ehr, sondern ein Kollege, ein Alliierter, dem er allen Ernstes das Nasenbein hatte brechen wollen.
Er nickte langsam und legte die Pistole auf den Tisch.
»O.k., ich glaube Ihnen. Warum diese Geheimhaltung?«
»Wissen Sie etwas über das Abkommen, das es mit Schweden und Dänemark gibt, um Übergriffe auf Kinder, die hier unten geschehen, direkt untersuchen zu können?«
Harry nickte.
»Tja, Norwegen steht in Verhandlungen m it den thailändischen Behörden, aber ein solche s Abkommen gibt es bis jetzt noch nicht. Bis dahin betreibe ich ein höchst inoffizielles Geschäft. Wir haben genug, um ihn einzubuchten, müssen aber trotzdem warten. W enn wir ihn jetzt festnehm en, müssten wir eingestehen, unerlaubte Ermittlungen auf thailändischem Boden durchgeführt zu haben, und das ist politisch inakzeptabel.«
»Also, für wen arbeiten Sie?«
Løken drehte die Handflächen nach oben. »Für die Botschaft.«
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»Das weiß ich, aber von we m erhalten Sie Ihre Befehle? W er steht dahinter? Wie sieht es m it dem Parlam ent aus, ist das unterrichtet?«
»Sind Sie sich wirklich sicher , dass Sie das alles wissen wollen, Hole?«
Seine intensiven Augen begegne ten Harrys Blick. Er wollte etwas sagen, hielt aber inne und schüttelte den Kopf.
»Sagen Sie mir lieber, wer der Mann auf dem Foto ist.«
»Das kann ich nicht. Tut mir leid, Hole.«
»Ist das Atle Molnes?«
Løken blickte auf die Tischpl atte und begann zu lächeln.
»Nein, das ist nicht der Botschafte r. Er war es, der die Initiative für die Ermittlungen gestartet hat.«
»Ist es …«
»Wie gesagt, ich darf Ihnen da s jetzt nicht sagen. W enn sich herausstellen sollte, dass unsere Fälle irgendwie miteinander zu tun haben, dann vielleicht, aber das müssen dann unsere Vorgesetzten entscheiden.«
Er stand auf. »Ich bin müde.«
»Wie ist es gelaufen?«, fragte Sunthorn, als Harry sich in den Wagen setzte.
Harry bat um eine Zigarette, zündete sie an und zog den Rauch begierig in seine Lungen.
»Nichts gefunden. Das war wohl ni chts. Ich tippe, der Typ ist sauber.«
Harry saß in seiner Wohnung.
Er hatte fast eine halbe Stunde mit Søs telefoniert. Das heißt, es war größtenteils sie gewesen, die geredet hatte. Es ist unglaublich, wie viel in einem Menschenleben im Laufe nur 272
einer Woche geschehen kann. Aber sie hatte auch erzählt, dass sie Papa angerufen hatte und am Sonntag zu ihm zum Essen sollte. Fleischbällchen. Søs wollte kochen und hoffte, dass Papa ein wenig reden würde. Das war
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