Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
sicher.
»Manche Menschen brauchen de n Luxus wie andere die L uft zum Atmen«, sagte Jens. »Für mich sind ein teurer W agen, schöne Kleider und ein bissch
en Verwöhntwerden einfach
notwendig, damit ich mich wohl fühle, um zu spüren, dass ich existiere. Können Sie das verstehen?«
Harry schüttelte den Kopf.
»Na ja.« Jens hielt das Champagnerglas am Stiel umfasst. »Ich bin der Dekadente von uns beiden. Sie sollten Ihrem ersten
Eindruck treu bleiben, Harr y, ich bin ein Drecksack. Und solange es auf dieser Welt einen Platz für Dreck säcke wie mich gibt, werde ich so weitermachen. Prost!«
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Er behielt den Cha mpagner eine Weile im Mund, ehe er schluckte. Dann fletschte er die Zähne und stöhnte voller Wohlbehagen. Harry musste lächeln und nahm sein eigenes Glas, doch Jens sah ihn missbilligend an.
»Wasser? Ist es nicht an der Zeit, dass auch Sie Ihr Leben zu genießen beginnen, Harry? Es kann doch unm öglich nötig sein, so streng zu sich selbst zu sein?«
»Manchmal ist es das.«
»Unsinn. Im Grunde sind doch alle Menschen Hedonisten, manche brauchen nur ein bissche n länger, um das zu kapieren.
Haben Sie eine Frau?«
»Nein.«
»Wäre es nicht an der Zeit?«
»Bestimmt. Aber ich sehe nicht ganz, was das da mit zu tun haben soll, das Leben zu genießen.«
»Wie wahr.« Jens blickte in se in Glas. »Habe ich Ihnen von meiner Schwester erzählt?«
»Von der, die Sie angerufen haben?«
»Ja, sie ist ledig, wissen Sie.«
Harry lachte. »Sie müssen mir nicht dankbar sein, Jens. Abgesehen von Ihrer Festnahme habe ich nicht viel getan.«
»Ich mache keine Witze. Sie ist eine tolle Frau. Verlagsreda k-teurin, aber ich glaube, sie arbeitet viel zu viel, um Zeit zu haben, sich einen Mann zu such en. Außerdem verschreckt sie alle gleich. Sie is t genau wie Sie, streng, eigenwillig, mit viel Durchsetzungsvermögen. Haben Sie eigentlich bem erkt, dass das auch all die norwegischen Mi ss Irgendwas bei ihren Interviews von sich behaupten, dass sie Durchsetzungsvermögen haben? So ein Scheiß, die reinste Inflation.«
Jens sah nachdenklich aus.
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»Meine Schwester hat an dem Tag, an dem sie mündig wurde, den Mädchennamen ihrer Mutter angenommen. Ich sage nicht von ungefähr mündig, ich meine das genau so.«
»Ich bin mir nicht so sicher, ob sie und ich wirklich ein gutes Paar abgeben würden.«
»Warum nicht?«
»Nun. Vermutlich weil ich ein Fe igling bin. Das, wonach ich Ausschau halte, ist e in selbstloses Mädchen in irgendeine m Pflegeberuf, das so schön ist, dass es niemand bis jetzt gewagt hat, ihr das zu sagen.«
Jens lachte. »Dann können Sie ruhig meine Schwester heiraten. Es macht nichts, wenn Sie sie nicht m ögen, sie arbeitet so viel, dass Sie sie ohnehin nicht viel sehen werden.«
»Warum haben Sie sie dann zu Hause und nicht auf der Arbeit angerufen? Es war in Norwegen doch zwei Uhr nachmittags, als Sie angerufen haben.«
Jens schüttelte den Kopf. »Sagen Sie es niem andem, aber ich kann mir diese Zeitun terschiede einfach nicht m erken. Ob ich Stunden abziehen oder hinzuzäh len muss, meine ich. Das ist wirklich peinlich, m ein Vater hä lt mich schon für präsenil, er sagt, das hätte ich von meiner Mutter.«
Dann beeilte er sich, Harry zu versichern, dass bei seiner Schwester keinerlei Symptome davon aufgetreten seien, eher im Gegenteil.
»Es reicht, Jens, sagen Sie mir lieber, wie es Ihnen geht, haben Sie sich schon Gedanken über die Ehe gemacht?«
»Psst, nicht so laut, ich bekomme allein schon bei dem Gedanken einen Herzinfarkt. Ehe …« Jens schauderte.
»Das Problem ist, dass ich einerseits nicht für die Monogamie geschaffen, andererseits aber ein Romantiker bin. Wenn ich erst verheiratet bin, darf ich es ja mit keiner anderen m ehr treiben, verstehen Sie? Und der Gedanke daran, ein Leben lang m it 281
keiner anderen Frau mehr Sex zu haben, ist ziemlich überwälti-gend, finden Sie nicht auch?«
Harry versuchte, dem in sich nachzuspüren.
»Zum Beispiel diese Sache m it dem Mädchen im Fahrstuhl.
Dass ich sie eingeladen habe. W issen Sie, wieso ? Die reinste Panik, ganz sicher. Nur um mir selbst zu beweisen, dass ich noch in der Lage bin, m ich auch noch für andere Frauen zu interessieren. Ziemlich bescheuert eigentlich. Hilde ist …«
Jens suchte nach den richtigen Worten.
»Sie hat etwas, was ich bei sonst niem andem gefunden habe.
Und ich habe gesucht, das können Sie m ir glauben. Ich weiß nicht, ob ich wirklich erklären
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