Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
entsteht.«
»Das würde bedeuten, dass wir wieder absinken, sobald die Luft sich abkühlt«, schlussfolgerte Felin.
»Wir sinken bereits«, meinte Yomi. »Schon seit einer ganzen Weile.«
Erschrocken blickten Yonathan und Felin in die Tiefe. Und wirklich, das fliegende Schiff hatte bedenklich an Höhe verloren. »Der Kessel!«, rief Yonathan. »Deshalb die Wolle und das Stroh an Bord.«
»Natürlich«, sagte Felin. »Du meinst, wir sollen es in dem Kessel anzünden?«
»Genau das meine ich. Kommt, schnell!« Schon schaufelte Yonathan aus Leibeskräften Brennmaterial in den Kessel.
Unterdessen entzündete Yomi auf einer Steinplatte mit Feuerstein und Stahl ein Büschel Stroh. »Ziemlich gefährlich«, murmelte er vor sich hin. »Ein einziger Funke in die verkehrte Richtung und unser schönes Luftschiff ist das erste fliegende Lagerfeuer in der Geschichte Neschans.«
»Kannst du nicht mal was Angenehmes erzählen?«, klagte Gimbar.
Als das Feuer richtig aufflammte, begann das Schiff wieder zu steigen. Höher und höher kletterte es, wie an einem unsichtbaren Seil in die Höhe gezogen.
»Ich glaube, jetzt stimmt unser Kurs!«, rief Yomi.
»Ja«, pflichtete Yonathan bei. »Es scheint tatsächlich zu funktionieren. Wir fliegen jetzt höher und hier treibt uns der Wind direkt nach Osten. Ist das nicht mal eine erfreuliche Nachricht, Gimbar?«
Der ehemalige Pirat schwieg.
Abermals zog das festlich beleuchtete Cedanor unter dem Luftschiff hinweg. Die Geräusche von den Straßen und Plätzen klangen eigenartig nah. In der Ferne breitete sich der gewaltige Cedan-Strom wie ein dunkler, schlafender Lindwurm nach Osten und Westen hin aus. Abgesehen von den immer heftiger werdenden Windböen, bot sich den Luftreisenden ein friedliches Bild. Selbst Gurgi hatte sich von ihrem Beschützer gelöst und turnte mutig an den Tauen herum, die den Schiffsrumpf mit dem Segelkasten verbanden.
Eine Zeit lang hörte man nur das Sausen des Windes und das Prasseln des Feuers. »Daran könnte ich mich gewöhnen«, schwärmte Yomi. »Wegen mir könnte Kaldek seine Weltwind gegen dieses Schiff hier eintauschen. Ich würde sie Weltwind II nennen. Irgendwie passt der Name zu diesem Luftschiff unheimlich gut. Findet ihr nicht auch?«
»Ich glaube, wir bekommen Probleme«, rief Yonathan in einem Ton, der seine Freunde aufhorchen ließ.
»Was ist?«, fragte Felin. Alle Sinne des erfahrenen Jägers waren sofort in Alarmbereitschaft.
»Ich weiß es nicht genau. Es ist so ein Gefühl… Ein Kribbeln in meinem Kopf…«
»O nein!«, sagte Yomi. »Das hat er schon oft gehabt – und nie hat es etwas Gutes bedeutet.« Der Seemann inspizierte das Schiff, kontrollierte die Flughöhe und suchte den dunklen Nachthimmel ab. »Ich kann nichts Verdächtiges finden«, stellte er schließlich fest.
»Ich auch nicht«, bestätigte Felin.
»Da!«, rief Yonathan. Mit ausgestrecktem Arm deutete er nach Westen.
Yomi und Felin strengten ihre Augen an. »Ich sehe nichts…«, hob der Prinz an, stockte jedoch und verbesserte sich: »Doch, ein Vogel. Nur ein schwarzer Vogel in der Nacht.«
»Das ist nicht irgendein Vogel, der da auf uns zukommt«, kündigte Yonathan düster an.
Yomi sog erschrocken die Luft ein. »Du meinst doch nicht etwa…?«
»Doch, Yo. Zirah!«
Yonathan war sich ganz sicher. Dieses Wesen in Gestalt eines schwarzen Vogels – einem besonders hässlichen Geier nicht unähnlich – musste dasselbe sein, das er zum ersten Mal auf der Weltwind gesehen hatte. Später wurde ihm dann klar, dass Zirah ein Spion Bar-Hazzats war; ein besonders gefährlicher sogar, der bis zu dem dramatischen Zusammenstoß beim Tor im Süden für eine Menge Ärger gesorgt hatte.
»Da ist ja mein Goldstück!« Eine grässliche, krächzende Stimme zerriss die Stille. »Es ist viel Zeit verstrichen, Yonathan. Ich sehe, du hast inzwischen auch das Fliegen erlernt. Aber es ist gefährlich für Menschen, wenn sie es unsereins gleichmachen wollen.« Während das geflügelte Wesen sprach, rüttelte es eine Weile in der Luft, umkreiste das Schiff mit knappen Flügelschlägen, um dann wieder auf der Stelle stehen zu bleiben.
»Willst du mir drohen, Zirah?«, rief Yonathan dem hässlichen Geschöpf entgegen. »Dein Herr hat sich schon ein paar Mal die Finger an mir verbrannt. Schickt er nun dich, damit ich dir die Federn ansenge?«
Zirah lachte niederträchtig. Wieder schlug sie in schnellem, kurzem Rhythmus mit den Schwingen, sodass sie in der Luft stehen blieb.
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