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Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Titel: Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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ein Blitz und ein knallender Donner.
    »Haltet euch fest! Gleich setzen wir auf!« Das war Yomi, ohne Zweifel.
    Yonathan klammerte sich fest, so gut er konnte. Dann gab es einen gewaltigen Ruck. Das ganze Schiff schien zu zerbersten. Yonathan verlor den Halt, flog quer durch die Luft und schlug mit dem Kopf hart auf.
    Für die Dauer eines Wimpernschlages konnte er sich noch an die Welt klammern, die ihn an diesem Tage so geschunden hatte. Bevor er das Bewusstsein verlor, schossen ihm zwei seltsame Gedanken durch den Kopf: Hoffentlich ist Gurgi nichts passiert. Und: Du warst wirklich nicht besonders nett zu mir, Cedanor.
      
      
       

IV.   Die Gezeiten des Lebens
     
    »Jener muss von nun an abnehmen,
    ich aber muss fortan zunehmen.«
    Die Bibel, Johannes-Evangelium, Kapitel 3, Vers 30
     
    Jonathan klappte die Bibel zu. Lange dachte er über die gerade gelesenen Worte nach. Diese Textstelle hatte natürlich nichts mit ihm zu tun. Sie handelte von Johannes dem Täufer, dessen Bedeutung ständig abnahm, nachdem Jesus, der verheißene Messias, auf den Plan getreten war – und doch…
    Nicht erst in den letzten Tagen hatte sich Jonathan gefragt, welche Rolle er im Gang der Ereignisse spielte, die sich in seinen Träumen vollzogen. Es war längst nicht mehr zu leugnen, dass sich die Dinge verselbständigt hatten. Sie gingen weit über das hinaus, was man von gewöhnlichen Träumen erwarten durfte. Diese Geschehnisse waren begeisternd und beunruhigend zugleich. Sie pflanzten sich ständig fort, wie im richtigen Leben. Ja, Jonathan begann sich zu fragen, was überhaupt das richtige Leben war.
    Mehr und mehr war er in das Traumleben von Yonathan, dem Pflegesohn Navran Yaschmons, hineingezogen worden – oder sollte er sagen: davon aufgesogen worden?
    Wie auch immer Jonathan fühlte sich ausgelaugt, erschöpft und krank. Sein Leben schien auf Ebbe zuzusteuern, während Yonathans mehr und mehr auf eine Springflut zulief. Eigenartigerweise war er trotzdem nicht unglücklich. Unsicher schon, weil er nicht wusste, was ihn noch alles erwartete, aber nicht unglücklich.
    Die jüngsten Traumereignisse hatten ihn in seiner Zuversicht allerdings ein wenig zurückgeworfen. Wenn er nur wüsste, was mit Yonathan geschehen war, nachdem Barasadans Heißluftballon Schiffbruch erlitten hatte… War sein Traumbruder ernstlich verletzt? Vielleicht sogar…?
    Nein, nicht noch einmal wollte Jonathan sich entmutigen lassen. Sein verborgenes Traum-Ich war nicht tot. Oder war das Wunschdenken? Bestimmt nicht! Möglicherweise hatte er sich früher von solchen Ereignissen niederdrücken lassen – wie damals, als sein Traumbruder beinahe vor dem Ewigen Wehr ertrunken war –, aber jetzt sah alles ganz anders aus. Jetzt hatte auch er selbst, Jonathan, sich verändert.
    Möglicherweise war dieser Wandel eine Folge vieler kleinerVorfälle, Überlegungen und Entschlüsse gewesen. Doch endgültig vollzogen hatte er sich erst vor kurzem. In den letzten Tagen des alten Jahres war Jonathan zu einer Entscheidung gekommen. Zu lange schon hatte er sich gesträubt die Ereignisse seiner Träume zu akzeptieren. Sicher, er hatte es genossen, als gesunder, starker Junge über die Welt Neschan zu wandern. Seine Träume waren so wirklich. Aber er hatte doch immer wieder Zweifel an diesen Träumen gehegt. Zweifel, weil das alles doch gar nicht sein konnte. Zweifel auch, weil zugleich die Zeit in der Gegenwart hier in Schottland sich jener in seinen Träumen zu beugen schien: Mehrmals waren ihm ganze Tage einfach verloren gegangen. Man hatte ihm gesagt, er sei krank. Solch ein Gedächtnisverlust sei zwar ernst, aber nicht beunruhigend, bald würde er wieder auf der Höhe sein. Und Jonathan hatte sich bemüht diese Erklärungsversuche anzunehmen und die Träume Träume sein zu lassen.
    Aber es war ihm nicht gelungen.
    Bis vor wenigen Tagen, wie gesagt. Als man Yonathan im Sedin-Palast festsetzte, geschah etwas Bemerkenswertes. Felin führte Yonathan in den Thronsaal und Yonathan ahnte sogleich, dass es mit diesem Ort eine besondere Bewandtnis hatte. Er spürte, dass diese Halle der cedanischen Kaiser ihm nicht fremd war. Aber er konnte seine Erinnerung nicht greifen.
    Anders bei Jonathan. Als er aus diesem Traum erwachte, wusste er, dass dieser Thronsaal im Großen Kubus genau dieselbe Halle war, die er von dem Pergament her kannte, das er erst kürzlich in den alten Büchern seines Großvaters gefunden hatte. Die Zeichnung mit der altgriechischen Inschrift

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