Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
Reittier unter Yonathans Sattel dann stehen blieb, nervös mit den tellerförmigen Hufen über den Boden scharrte und immer wieder die Nase zur Erde senkte, dann wusste auch er, was das zu bedeuten hatte.
Als das »Scherbenfeld« am Eingang der Mara bereits fünf Tagesmärsche zurücklag, war Yonathans Zuversicht buchstäblich im Sande verlaufen. Jede Erwähnung des Wortes »Wasser« setzte in seinem Kopf sofort düstere Gedankengänge in Bewegung. Er überlegte, ob Yehsir die Wasserrationen auch nicht zu großzügig einteilte. War das Pas tatsächlich wirksam? Und dann waren da noch die Tiere – sie soffen so viel!
Der vom trockenen Wind aufgewirbelte Sand trug nicht gerade dazu bei, derlei Bedenken zu zerstreuen. Die feinen Körnchen setzten sich unentwegt überall fest: in Ritzen und Falten, im Gepäck, den Kleidern und am ganzen Körper. Ständig plagte einen der Wunsch etwas zu trinken, sich das Gesicht abzuspülen – zu baden!
Es musste um die Zeit der fünften Stunde gewesen sein, kurz vor der täglichen Ruhepause also, als der monotone Fluss der Karawane ins Stocken geriet. Kumi blieb von einem Augenblick zum nächsten einfach stehen und blökte unwillig. Yonathan, den das gleichmäßige Wiegen des Ritts in eine Art Halbschlaf gelullt hatte, fuhr erschrocken hoch. Er dachte, sein weißes Lemak hätte Wasser gewittert, aber Yehsir erkannte die Ursache für Kumis Verhalten: Sie befanden sich mitten in einem Treibsandfeld.
Yehsir mahnte seine Gefährten zur Ruhe, ordnete an, dass man die Tiere voneinander losbinden, langsam umdrehen und dann wieder zu einem neuen Zug vereinen solle, um in die entgegengesetzte Richtung zurückzuwandern. Die Bedrohlichkeit ihrer Situation wurde schnell offenbar. Natürlich hatten auch die Tiere instinktiv die Gefahr gespürt und so kam es, dass ein Pferd, das bei der Kehrtwendung nervös zur Seite tänzelte, in den weichen Sand geriet. Selbst zu fünft gelang es den Gefährten nicht, das verzweifelt strampelnde Tier wieder freizubekommen. Todesangst trieb ihm weißen Schaum aus den Poren, die angstvoll hervorstehenden Augen flehten um Hilfe und sein durchdringendes Wiehern füllte die Stille der Wüste wie lähmendes Gift. Fassungslos verfolgten sie, wie all das jäh erstarb und sich ein Leichentuch aus feinem, rieselnden Sand über das Packpferd legte.
Yonathan ahnte, dass es nichts nützen würde, einfach auf geradem Wege zurückzugehen. Er vermutete, dass ihre Lage keinesfalls ein Zufall war, weswegen auch die Befreiung daraus ungewöhnliche Maßnahmen verlangte. Er nahm den Stab Haschevet zur Hand, weckte die Kraft des Koach und schon bald zeigten sich seltsame Vertiefungen im Sand, so als würde jemand einen unsichtbaren, schweren Waschzuber darüber hinwegziehen. Schon früher hatte er die Kraft der Bewegung zum Erfühlen von Oberflächen eingesetzt, sodass es ihm recht schnell gelang, die Stellen zu finden, wo der Untergrund begehbar war, und jene zu umgehen, wo der Treibsand auf sie lauerte.
Der Weg, den Yonathans seltsame Spur beschrieb, war alles andere als schnurgerade. Die Erfahrung des Schützenden Schatten allein hätte ganz sicher nicht ausgereicht, um die Karawane aus dem Treibsandfeld herauszuführen. Längst stand die Sonne an ihrem höchsten Punkt, als Yonathan erschöpft und verschwitzt verkündete, dass sie sicheres Terrain erreicht hatten.
Mit müden Worten überredete er Kumi, sich in den Sand zu legen, damit er absteigen konnte. Das weiße Lemak kniete zuerst vorne nieder und faltete anschließend die Hinterbeine zusammen.
»Es wird Zeit die Sonnenzelte aufzubauen«, erklärte Yehsir, als alle Reisenden beieinander standen.
Yonathan stieß ein tiefes Seufzen aus und ließ sich kraftlos in Kumis Schatten sinken. »Eine gute Idee«, konnte er gerade noch sagen, dann fiel er in tiefen Schlaf.
An diesem Tag genehmigte Yehsir eine Sonderpause. Die abendliche Wanderung fiel aus, weil Yonathan auch bei Sonnenuntergang noch völlig ermattet war. Warum strengte ihn die Benutzung des Stabes nur immer so fürchterlich an? Als er Gimbar wieder belebt hatte, konnte er sich zwei Tage lang nur mit Mühe auf Kumis schwankendem Rücken halten und jetzt ging es ihm ähnlich.
Allerdings hatte der Marsch durch das Treibsandfeld auch sehr lange gedauert. Neben der Erschöpfung machte Yonathan vor allem eines zu schaffen: Wie war es der Karawane überhaupt gelungen, so weit in das Gebiet einzudringen, ohne schon vorher auf den trügerischen Untergrund aufmerksam zu
Weitere Kostenlose Bücher