Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
freiwillig meldet?«
Stille erfüllte den Besprechungsraum.
»Nun gut«, verkündete Blodok entschlossen. »Ich werde nicht, wie Gim vorschlug, Sargas hintergehen. Wir werden den morgigen Tag noch abwarten. Wenn Sargas morgen eintrifft, dann soll er entscheiden, was mit den beiden geschieht, andernfalls werden die Freiwilligen, die wir morgen auswählen, tags darauf aufbrechen.«
Die Antwort bestand in einem allgemeinen, zustimmenden Gemurmel, begleitet von dem Ruf nach starken Getränken. Jedes Ratsmitglied war sich wohl sicher, dass das Los auf jemand anderen fallen würde.
Später am Abend – im »Konferenzraum« war inzwischen Ruhe eingekehrt – öffnete sich die Luke. Herunter stieg eine Gestalt, die weder die zerbrechliche Hagerkeit Dagáhs noch den ungleichmäßig schleppenden Gang Gims besaß.
»Aller Friede sei mit euch. Mein Name ist Gimbar, der Sohn Gims.«
Yonathan hob die kleine Öllampe, um den Sohn von Gim und Dagáh besser erkennen zu können. Gimbar hatte ein schmal geschnittenes Gesicht mit einer scharf gebogenen Nase. Aus dem Profil erinnerte er ein wenig an einen Falken oder Adler. Seine braunen Augen wirkten wach und listig, aber auch gutmütig. Yonathan spürte sofort, dass er diesem jungen Mann trauen konnte.
Seine lockigen, schwarzen Haare und seine ganze Erscheinung verrieten Sinn für Sauberkeit und gepflegtes Aussehen. Er trug eine braune Tunika, den in Kartan üblichen Ledergürtel und auffälligerweise zwei Dolche darin. Gimbars Gestalt war gedrungen. Er mochte gut fünfeinhalb Fuß messen, war also kaum größer als Yonathan und noch ein gutes Stück kleiner als Yomi, besaß aber eine Menge mehr Muskeln als die beiden. Das machte ihn aber keinesfalls zu einem plumpen Kraftprotz. Schon als er die Leiter herabstieg, konnten sie seine geschmeidigen und flinken Bewegungen sehen.
Diese Eigenschaften wären eigentlich ideal für einen Piraten gewesen. Und doch war er in auffälliger Weise anders als die
übrigen, wilden Bewohner Kitvars; vielleicht musste man die Gabe des Koach besitzen, um diesen Unterschied zu erkennen. Yonathan wurde durch lautes Poltern in seinem Rücken aufgeschreckt. Yomi war schon wieder vom Sitzfass gefallen. Irgendetwas an Gimbars Anblick musste ihn erschreckt haben.
»Was ist denn mit deinem Freund los?«, fragte Gimbar belustigt.
»Das weiß ich ehrlich gesagt auch nicht«, entgegnete Yonathan lächelnd. »Er macht ab und zu so unerklärliche Sachen.«
Yomi war zu erregt, um einen zusammenhängenden Satz herauszubringen. »Das ist… das ist… dieser Pirat«, stotterte er, während er sich den Ellbogen rieb.
»Ja, natürlich«, erwiderte Yonathan verständnislos. »Alle sind hier Piraten.« Und achselzuckend fügte er hinzu: »Mehr oder weniger jedenfalls.«
»Nein, das meine ich nicht«, widersprach Yomi. »Er istderjenige, der damals bei dem Überfall auf die Weltwind dabei war. Du darfst ihm nicht trauen, Yonathan!«
Gimbar brachte seine Lampe näher zu Yomi, um dessen Gesicht besser erkennen zu können. Der junge Pirat musste lächeln. »Tatsächlich! Ich erinnere mich an ihn. Er hat zu mir herübergeblickt, während sich die anderen schlugen. Aber sag, was hast du mit deinem Gesicht angestellt? Es sieht ja aus, als wärst du in einer Schlammpfütze eingeschlafen.«
»So etwas Ähnliches hat er tatsächlich getan«, schaltete sich Yonathan ein. »Aber es ist schon viel besser geworden und bald wird man überhaupt nichts mehr sehen.« Yomi, der schon in die Luft gehen wollte, beruhigte sich und widmete sich wieder seinem schmerzenden Ellbogen. »Du meinst, du bistderjenige, der damals, während des Überfalls, als Einziger auf dem Piratenschiff blieb?«, fragte Yonathan.
Gimbar nickte. »Ja, wie immer seit damals. Ich kämpfe nicht mehr gegen unschuldige Menschen.«
»Deine Eltern haben uns davon erzählt. Ich finde, deine Haltung erfordert viel Mut.«
»Eine Haltung, die langsam lebensgefährlich für mich wird. Ich nehme an, das habt ihr auch schon gehört?«
Yonathan nickte.
»Ich traue ihm trotzdem nicht – keinen Fingerbreit«, warf Yomi ein. Gurgi thronte auf seinem zerzausten blonden Haarschopf.
»Ein niedlicher kleiner Kerl«, fand Gimbar. »Was ist das? Ich habe noch nie so ein Tier gesehen.«
»Ein Masch-Masch. Sie leben nur im Verborgenen Land.«
»Dann stimmt es also, dass ihr von dort kommt?«
»Ja, das stimmt.«
»Nun«, Gimbar suchte nach den richtigen Worten, »hier in Kartan entspricht das, was jemand sagt, nicht
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