Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
großen Thronsaal zu Cedanor verspürt. Auch dort hatte er an der Seite Felins vergeblich nach einer verschütteten Erinnerung gesucht. Jetzt war es ähnlich.
Dann ließ er den Blick weiterschweifen über den Boden des runden Gewölbes und fand schnell einen neuen Halt. Der grüne Sockel in der Mitte des Halbrunds zog seine Aufmerksamkeit an. Zuerst glaubte er in das Wasser eines grünen Tümpels zu blicken, in dem auf geheimnisvolle Weise zahlreiche Sterne funkelten. Aber dann erkannte er Unebenheiten. Neugierig reckte er den Hals, um über Ascherels Sarg hinweg deutlicher zu sehen, was diese Erhebungen darstellten.
Aber wie konnte das sein? Er glaubte, auf dem Stein die Umrisse einer Flöte zu erkennen. Verwirrt schloss er die Augen und schüttelte den Kopf, um die Gedanken wieder in eine sinnvolle Ordnung zu bringen. Seine Hand tastete zum Hals, wo er seine eigene Flöte trug.
Warum gerade eine Flöte? Hatte diese Platte dort etwas mit dem siebten Richter zu tun? Diese Platte dort – Yonathan schob sich hinter Ascherels Sarg durch, um auch die beiden Namen über dem Flötensymbol lesen zu können – war eine in edlen Stein gehauene Prophezeiung all dieser Ereignisse…
»Du bist gewachsen, Yonathan.«
Er zog erschrocken den Kopf ein, als wolle er diese Aussage Lügen strafen. Der unterirdische Raum wurde jäh von einem hellen, weißen Licht erfüllt. Yonathan hatte allmählich genug davon, immer durch irgendwelche Erscheinungen und Stimmen überrascht zu werden – mordlustige Schatten, geschäftstüchtige graue Männer mit zweifelhaften Angeboten, sprechende Lemaks und jetzt…
»Benel!« Yonathan konnte nicht fassen, was er sah. Nahe beim Eingang stand in ein weißes Gewand gekleidet der Bote Yehwohs, der ihm vor fünf Monaten den Auftrag gegeben hatte Haschevet nach Gan Mischpad zu bringen. Alle Anspannung fiel von Yonathan ab. »Benel!«, rief er noch einmal und stürzte voller Freude auf den unverhofften Besucher zu. Schnell fing er sich wieder und kam stolpernd zum Stehen. Er senkte das Haupt und sagte ehrerbietig: »Ihr macht mich glücklich, Herr. All das Schlimme, das ich in der letzten Zeit erlebt habe, ließ mich beinahe vergessen, wie froh man sein kann einen alten Freund wieder zu sehen…« Yonathan hielt erschrocken inne. »Verzeiht, wenn meine Worte ungeschickt gewählt waren…«
»Du musst dich nicht entschuldigen, Yonathan.« Benels Stimme klang weich und angenehm wie Balsam. »Ich schätze mich glücklich, Freund von dir genannt zu werden. Schließlich bist du nicht mehr der unerfahrene, großherzige Junge, den ich vor nun bald einem halben Jahr getroffen habe. Großherzig bist du zwar immer noch, aber, wie gesagt, du bist gewachsen.«
Unsicher betrachtete Yonathan seine Handgelenke, als könneer an der Länge der Ärmel eine Bestätigung für Benels Behauptung finden.
Yehwohs Bote lächelte. »Ich meinte nicht diese Art von Größe, Yonathan – obwohl du auch körperlich beinahe das Maß eines erwachsenen Mannes erreicht hast. Nein, die Größe, von der ich spreche, zeigt sich in anderen Dingen – deinem Denken, Reden und Handeln. Es gibt einen, der über mir steht. Er hat dich erwählt. Du hast ihn nicht enttäuscht, Yonathan.«
»Nicht enttäuscht?« Yonathan lachte kurz auf. »Aber ich habe doch immer nur versagt: Ich bin von der Weltwind gefallen; ich habe mich ständig fangen lassen; ich konnte Sethur nicht unschädlich machen, obwohl ich zweimal die Gelegenheit dazu hatte; und… ich habe zwei Menschen getötet.« Er ließ betrübt den Kopf hängen.
Benel verriet Mitleid für Yonathans Selbstzweifel. »Ich habe nie gesagt, dass du dich nicht verbessern könntest. Du siehst die Dinge zu sehr aus deinem eigenen Blickwinkel. Das ist tatsächlich noch eine Schwäche, an der du arbeiten solltest. Aber du hast Fortschritte gemacht, Yonathan. Weißt du noch, was beim Tor im Süden geschah? Sethur schickte dir einen Drachen hinterher.«
»Ja, einen unechten«, erinnerte sich Yonathan und sein Gemütshimmel klarte sich wieder etwas auf. »Nur ein Trugbild, sonst nichts. Ein bisschen mulmig war mir aber doch, als die riesigen Kiefer des Untiers nach mir schnappten.«
»Aber du hast bemerkt, dass der Drache keine Gefühle besaß, und das verriet schließlich Sethurs Trugspiel. Du triebst deine Freunde unermüdlich an weiterzulaufen, wodurch sie schließlich gerettet wurden. Würdest du das auch als ›Versagen‹ bezeichnen, Yonathan?«
»Vielleicht war es nur Glück.«
»Kein
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