Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
noch immer nicht verblüht war, glaubte mir Tarika schließlich. Sie wurde Ascherel und die weiße Rose wurde das Zeichen ihrer Richterschaft.«
»Und wo kam Ascherel her?«
»Von da, wo auch du herstammst, Yonathan.«
Und abermals eine dieser Kaninchenbauantworten! »Das war mir klar. Irgendwo müssen unsere Wege wohl zusammenführen, sonst hätte sie schlecht meine Urgroßmutter werden können.«
»Siehst du. Es ist alles ganz einfach.«
Das war es nicht! Aber Yonathan merkte, dass er an die Pforte zu einem Geheimnis geklopft hatte, das sich ihm – zumindest im Augenblick – nicht öffnen wollte. Sein Traumbruder kam ihm in den Sinn. In der letzten Zeit hatte er mehrfach von jenem anderen Teil seines Ichs geträumt. Er hatte gesehen, dass jener schwache Junge, der ihm einmal gesagt hatte, sie beide seien in Wirklichkeit eins, krank war. Todkrank! Er hatte besorgte Menschen gesehen, die um dieses Bett herumstanden: zwei grauhaarige, alte Männer und einen jüngeren, aber nicht weniger sorgenvollen. War dieser Traumbruder die Antwort auf seine Schlüsselfrage?
»Was wirst du mit dem Wissen anfangen, das du jetzt besitzt?«, fragte Benel.
Yonathan zuckte die Schultern. »Ich begreife das alles noch nicht richtig. Aber ich bin glücklich, dass du mir diese Dinge anvertraut hast. Ich glaube, ich werde versuchen mich meiner Urgroßmutter würdig zu erweisen.«
»Das ist eine gute Entscheidung. Ich glaube, damit kann ich dich auf den letzten Teil deines Weges schicken.«
»Müssen wir uns wirklich schon trennen?«
»Die Zeit ist knapp, Yonathan. Geh jetzt nach draußen. Dort wirst du deine Freunde finden.«
»Aber ich hätte so gerne noch einige Antworten gehört…«
»Die wirst du früh genug bekommen«, redete Kumi dazwischen. Ein blaues und ein grünes Auge, genauso ungleich wie die beiden Gesprächspartner, lugten durch den Eingangsschacht in das unterirdische Gewölbe.
»Also gut«, sagte Yonathan und schaute etwas vorwurfsvoll zu Benel hinüber. »Ich weiß schon, wann es Zeit ist zu gehen. Werden wir uns wieder sehen?«
»Ich weiß es nicht, mein Bruder. Die Entscheidung darüber liegt nicht bei mir. Ich würde mich jedenfalls sehr darüber freuen.«
»Ich auch«, erwiderte Yonathan traurig. Dann straffte er die Schultern und ordnete mit fester Stimme an: »Schließ die Bochim gut hinter mir ab, damit Bar-Hazzat hier keinen Schaden anrichten kann.«
»Da sei unbesorgt. Bar-Hazzats Macht endet an der Pforte zu den Bochim. Er kann diesen Ort niemals betreten, denn er ist nirgendwo. Lebe wohl, Yonathan.«
Mit dieser letzten geheimnisvollen Anmerkung verschwand Benel. Die Grabkammer füllte sich wieder mit dem matten, bläulichen Dämmerlicht und einen Moment lang überlegte Yonathan, ob er noch einmal zur grünen Tafel des siebten Richters gehen sollte. Jeder auf Neschan kannte seinen neuen Namen: Geschan. Aber wie hieß jener Mann, dessen Amt unter dem Symbol der Flöte stehen würde, heute?
»Du wirst doch nicht schummeln wollen!«, mahnte Kumi vorwurfsvoll.
Yonathan schaute erschreckt in die grün-blauen Augen des Lemaks und beschloss, die Beantwortung der noch offenen Fragen auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.
Der wandernde Garten
Nach dem Verlassen der Bochim dauerte es nicht lang und Yonathan hatte seine Freunde wieder gefunden. Bochim schienen sich kaum um räumliche Gegebenheiten zu kümmern
– sie waren genau dort aufgetaucht, wo ihr lebensrettendes Erscheinen vonnöten war, und kaum lag ihr Gewölbe verlassen da, verschwanden sie wieder. Yonathan hatte sich nach wenigen Schritten noch einmal nach dem Eingang umgesehen, aber der Schacht am Ende der Rampe war verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben. Was sagte doch Benel gleich über diesen geheimnisvollen Ort? Er sei nirgendwo…
Die Wiedersehensfreude unter den schon verloren geglaubten Freunden war groß. Sie wetteiferten darin, sich gegenseitig den Brustkorb einzudrücken und mit Schlägen ihre Schultern zu malträtieren. Selbst Yehsir beteiligte sich, kam aber schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.
»Es gibt schlechte Nachrichten.« »Haben wir heute nicht schon genug erlebt?«, stöhnte Yomi. »Was ist es denn?« »Wir haben nur noch acht Packpferde. Die übrigen sind im Sandsturm verloren gegangen.«
»O weh, das ist wirklich schlimm! Wie steht es mit unseren Wasservorräten?«
»Auch schlimm – sehr schlimm sogar! Praktisch alle Tiere, die uns fortgelaufen sind, hatten Wasserschläuche
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