Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
Yomi hinweg. Die Mücke krängte hart nach backbord, umrundete die aus dem Wasser ragende steinerne Nadel, schabte mit hässlichem Geräusch an einer senkrechten Felswand entlang – und befand sich plötzlich in einer weiten Grotte, an deren anderem Ende das offene Meer lächelte.
»Woher hast du gewusst, dass es einen Weg durch die Felsen gibt?«, fragte Yonathan.
Gimbar rieb sich die Nase. »Gewusst habe ich es natürlich nicht. Ich konnte es nur vermuten.«
»Du machst mir Spaß!«, ereiferte sich Yomi. »Was wär gewesen, wenn es keinen Tunnel gegeben hätte?«
Gimbar grinste. »Aber es gab einen, Langer. Außerdem war ich mir unheimlich sicher, wie du sagen würdest. Schon damals, als Yonathan und sein kleiner, pelziger Freund an Deck der Narga für Kurzweil sorgten, habe ich eine Verfärbung des Wassers entdeckt, und zwar genau bei dem Felsfinger, der den Tunneleingang verdeckte. Ich vermutete, dass sich dort eine besondere Strömung bildet, wenn die Gezeiten das Wasser vom offenen Meer in die Bucht drücken.«
»Na, jedenfalls haben wir ziemliches Glück gehabt«, tröstete sich Yomi.
»Glück?«, wiederholte Gimbar neckend.
»Sicher auch einen guten Riecher«, sagte Yonathan. »Aber ich denke trotzdem, dass wir es ohne Yehwohs Hilfe nicht geschafft hätten. Überlegt doch mal: Erschien der Weiße Fluch nicht wie bestellt? Das war mehr als nur ein glücklicher Zufall.«
Gimbar schaute verlegen auf die Bodenplanken. »Du hast Recht, Yonathan. Allerdings glaube ich, dass er vor allem dir geholfen hat. Mir ist schon seit einiger Zeit klar, dass du ein sehr ungewöhnlicher Mensch bist.«
»Wie kommst du denn darauf?«, entgegnete Yonathan etwas zu schnell. Im Innern schalt er sich einen Dummkopf, war es doch angesichts der jüngsten Ereignisse nur zu offenkundig, dass ihn eine geheimnisvolle Aura der Macht umgab.
Gimbar ignorierte dies. Er lächelte Yonathan an und zwinkerte. »Mir wurde es spätestens klar, als du Benith auf den Kopf zusagtest, dass er ein Betrüger sei.«
»Aber ich habe ihn doch einfach nur gefragt, was er mit uns vorhat.«
Gimbar musste ein Lachen unterdrücken. »Ihn gefragt, Yonathan? Deine einfache Frage war wie ein Enterhaken, der sich tief in den Verstand bohrt, um die Wahrheit hervorzuzerren, wie sehr sie sich auch sträubt. Erzählt mir bitte nicht, ihr hättet davon nichts gemerkt.«
Yomi schwieg lieber. Er erinnerte sich an jenen Vorfall. Obwohl die Worte Yonathans direkt an den verräterischen Piraten gerichtet waren, hatte auch er sich gefühlt, als bestünde er aus Glas.
Yonathan senkte den Blick und gestand: »Natürlich habe ich es gemerkt. Aber ich hatte es nicht gewollt… Das heißt, ich wollte zwar die Wahrheit von Benith erfahren, aber ich hatte keine Ahnung, dass meine Frage eine solche Wirkung haben würde. Es kann nur…«
»Der Stab Haschevet gewesen sein?«, vervollständigte Gimbar den Satz.
»Woher weißt du…?«
»Oh, Yonathan, woher weiß man, dass ein Stab, der so aussieht wie der deine, für den sich Sethur brennend interessiert und vor dem die schlimmsten Piraten und die rücksichtslosesten Krieger einen solchen Respekt haben, Haschevet ist? Was meinst du?«
Yonathan kapitulierte. Es hatte keinen Zweck diesem gewieften jungen Mann etwas vorzumachen. »Du hast also schon von Haschevet gehört?«
»Yonathan!« Gimbar gab sich empört. »Ich bin zwar unter Barbaren aufgewachsen, aber meine Eltern sind gebildete Leute. Meine Mutter hat mir aus dem Sepher Schophetim vorgelesen. Was ich dort lernte, hat mir das Handwerk der Piraten endgültig vergällt. Und nachdem ich dich kennen gelernt habe, verstehe ich so manches aus dem Sepher noch viel besser.« Er ließ das Ruder los, trat auf Yonathan zu, beugte das Knie – wodurch die Mücke in heftiges Schaukeln geriet – und gelobte: »Ich werde Euch, dem Beauftragten Yehwohs, folgen, wo immer Ihr auch hingeht. Ich werde dem siebten Richter dienen, in allem, was er von mir wünscht.«
Yomi verfolgte die Szene mit sprachlosem Staunen. Yonathan wurde siedend heiß; er fühlte sich unwürdig und schämte sich. »Was tust du da, Gimbar!«, protestierte er. »Steh sofort auf und rede nicht so geschwollen daher! Ich bin nicht der siebte Richter und selbst wenn ich es wäre, dann verdiente nicht ich deine Verehrung, sondern Yehwoh.« Als Gimbar nicht sogleich reagierte, flehte er noch einmal: »Gimbar. Bitte! Steh endlich auf und setz dich wieder ans Ruder!«
Der ehemalige Pirat zog sich nur widerstrebend
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