Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
ankam, suchte er stets Landeplätze aus, die weit entfernt von menschlichen Siedlungen lagen. Mitten in der Nacht konnten sie so unbeobachtet Frischwasser aufnehmen.
Auch Yonathan hatte das Bedürfnis, wieder einmal die Enge der Mücke zu verlassen und eine richtige Mahlzeit zu sich zu nehmen. Zwar konnte man auf dem Rücken Galals spazieren gehen und auch an Proviant mangelte es nicht, aber weder die nasse, karge Oberfläche des Traumfelds noch die eintönige Speise boten auf Dauer genug Abwechslung.
»Morgen kommen wir an dem großen Nest vorbei, wo die vielen Schiffe der Menschen ihren Winterschlaf halten.« Die Gedankenstimme stammte von Galal.
»Du hast mich belauscht!«, stellte Yonathan fest.
»Du weißt, dass das nicht geht. Ich wusste nur, was du dir wünschst: Du willst mich verlassen.«
»Das ist nicht wahr. Ich wäre nur gerne mal wieder unter Menschen, mit festem Boden unter den Füßen. Es ist ziemlich lange her, seit ich das frei und ungehindert tun konnte – eigentlich nicht mehr, seit ich von Kitvar aus in See gestochen bin.«
»Ich kenne ein Loch. Nicht weit von dem Nest der Menschen. Auf der einen Seite fließt das Meer hinein. Auf der anderen Seite kommen die Fledermäuse heraus.«
»Du meinst eine Höhle? Ist sie so groß, dass du uns hinein-und wieder herausbringen könntest?«
»Ich war schon oft dort. Wenn die Sonne heiß scheint. Und die Schiffe mit ihren Stacheln auf das Meer hinausfahren.«
Galals Gedanken überzeugten Yonathan. Die Höhle, wenn sie einen Ausgang oberhalb des Wasserspiegels hatte, war das ideale Versteck, um noch vor Sonnenaufgang an Land zu gehen und später ebenso unauffällig wieder unterzutauchen. Yonathan lächelte. Das Wort »Untertauchen« gefiel ihm.
»Galal sagt, dass es hier in der Nähe eine größere Hafenstadt geben muss.«
»Das kann nur Meresin sein!«, riefen Yomi und Gimbar wie aus einem Munde.
»Was haltet ihr davon, wenn wir Meresin morgen einen kleinen Besuch abstatten?«
»Das wäre sicher unheimlich interessant«, sagte Yomi abwartend.
»Aber ist es nicht zu gefährlich, vor Cedanor noch einmal in der Nähe einer Siedlung an Land zu gehen?« Auch Gimbars Einwand klang eher halbherzig.
»Sicher. Aber ich schätze, dass es in einer größeren Stadt verhältnismäßig ungefährlich sein wird. Dort gibt es viel zu viele Menschen. Um diese Jahreszeit ist Meresin wahrscheinlich voll von Seeleuten aus allen Teilen Neschans, die auf den nächsten Frühling warten. Auf drei Fremde mehr oder weniger kommt es da sicherlich nicht an, oder?«
»Für sein Alter kann er ausgesprochen logisch argumentieren. Findest du nicht auch, Langer?« Gimbar zwinkerte Yomi zu.
»Damit hat er mich schon ziemlich oft verblüfft«, gab der zurück. »Es steckt eben mehr in ihm, als man vermutet.«
»Vorsichtig müssen wir trotzdem sein.« Yonathan erzählte von der Höhle vor den Toren der Stadt und von seinem Plan, noch vor Sonnenaufgang eine Straße zu erreichen, von der aus sie sich Meresin nähern könnten.
Gimbar wühlte in dem Gepäck unter der Bugplane herum und brachte ein fest verschnürtes Bündel zum Vorschein. »Wusste ich’s doch!«, schnaufte er zufrieden. »Blodok hatte bei unserer Abreise aus Kartan ›normale Straßenkleidung‹ in unserem Gepäck verstauen lassen. Das würde Benith und mir helfen uns unbemerkt in den Straßen Cedanors zu bewegen, wenn wir Kaldek aufsuchen und das Lösegeld für euch beide erpressen würden. Zwar hatte Blodok nie vor, uns so weit kommen zu lassen, aber die Kleidung ist trotzdem da.«
»Und was ist mit mir?« Yonathan breitete die Arme aus und blickte an sich herab. »Meine Kleidung ist sicher keine ›normale Straßenkleidung‹, hier in der Zentralregion.«
»Lass deinen grünen Kittel hier in der Mücke. Man wird dich für irgendeinen Schiffsjungen halten. Nur den Stab solltest du vielleicht nicht jedermann unter die Nase halten.«
»Ich werde ihn im Köcher lassen«, schlug Yonathan vor.
»Und deinen kleinen Begleiter da« – Gimbar deutete mit dem Kopf auf Gurgi –, »steckst du am besten gleich dazu.«
Der Masch-Masch quietschte erschreckt und verschwand blitzschnell in Richtung Mastspitze, als hätte er jedes Wort verstanden.
Aber Gimbars Bedenken waren sicher angebracht. Wer konnte schon wissen, welcher Boten sich Sethur bediente? Jeder, der in seinem Auftrag Ausschau hielt, wusste wohl auch von dem kleinen merkwürdigen Tier, das die Gesuchten bei sich trugen. Yonathan musste an Zirah denken.
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