Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
Yonathan in seinem Geist Bilder zu formen.
»Galal?«
»Ja?«
»Hast du schon einmal versucht den Cedan hinaufzuschwimmen?«
»Ja, vor tausend Sommern. Aber ich blieb hängen.«
»Und wie ist dir das Süßwasser bekommen?«
»Mir wurde schlecht.«
»Und glaubst du, dass das heute anders wäre?«
»Nein.«
»Willst du immer noch mit mir kommen?«
»Ja.«
Yonathan setzte sich und sein Hinterteil wurde ziemlich nass dabei. Er befand sich auf dem Rücken Galals, etwas abseits der Mücke. Eigentlich konnte er es Yomi und Gimbar nicht verübeln, dass sie kein so herzliches Verhältnis zu Galal hatten wie er. Sie konnten sich mit dem Traumfeld nicht unterhalten. Aber er selbst hatte die einfache, klare und manchmal leicht verletzliche Art dieses unergründlichen Wesens lieb gewonnen. Und so fiel der Abschied ihm besonders schwer.
»Werden wir uns wieder treffen, Yonathan?«
Wieder seufzte Yonathan. »Wer kann das wissen?«, erwiderte er ausweichend.
»Bald?«
Bald? Das konnten fünfhundert Jahre im Leben eines Traumfeldes sein. »Ja, Galal. Vielleicht schon bald.«
»Gut. Dann werde ich auf dich warten.«
Yonathan erschrak. »Warten? Etwa hier, am Cedan-Delta?«
Galal kicherte. »Nein, nein. Hier sind zu viele Schiffe. Du musst mich nur rufen. So laut, wie du dieses Ason-Gesicht gerufen hast. Dann werde ich dich hören.«
Yonathan schluckte. »Ich werde daran denken«, versprach er und er merkte, wie er die Worte vor sich hin murmelte. Mit den Händen tätschelte er etwas hilflos den Rücken Galals, für das Traumfeld wahrscheinlich kaum spürbar.
Gerade wollte sich Yonathan erheben, da hob ihn Galal wie mit einer riesigen Hand in die Höhe. Bald sah er weit unter sich im fahlen Licht den ganzen gewaltigen, grünen Körper und dicht daneben die winzige Mücke: »Schau, Yonathan«, sagte Galal und dies waren seine Abschiedsworte. »Das ist dein Freund, Galal, Rakk-Semilath, der Pfad über das Meer. Behalte sein Bild im Sinn, so wie die Bilder seiner Gedanken. Wenn du ihn brauchst, wird er für dich da sein.«
»Ich werde ihn im Sinn behalten«, versprach Yonathan feierlich.
Alsdann senkte sich die riesige Hand und setzte den winzigen Menschen wieder ab, gleich neben seine Gefährten, direkt an Bord der Mücke. Der Wind blähte die Segel, die Mücke nahm Fahrt auf und schnell wurde das grüne Traumfeld kleiner. Doch bevor es in sicherem Abstand untertauchte, sandte ihm Yonathan noch einen letzten Gedanken nach: »Lass dich nicht pieken, Galal. Und friss etwas anderes als Schiffe.«
Das Delta des Cedan war gewaltig. Bereits einige hundert Meilen vor dem Golf von Cedan teilte sich der breite Strom in zahlreiche Mündungsflüsse. Diese Wasserarme erstreckten sich an der Küste gleich einem gigantischen Wurzelwerk über ein Gebiet von dreihundert Meilen hinweg. Die Flussarme bildeten eine neue, faszinierende Welt. Weitläufige Schilfwälder beherbergten langbeinige, stolze Wasservögel, wenig freundlich aussehende Reptilien und pelzige Jäger, die sich sowohl im Wasser als auch auf den vielen kleinen Inseln, die es hier gab, mit gleicher Anmut bewegten. Yomi wusste, dass es im Delta den Sommer über unerträglich schwül war; jedes Schiff wollte es so schnell wie möglich hinter sich lassen und Gimbar hatte hinzugefügt, dass es hier einige Schlupfwinkel seiner ehemaligen Berufskollegen gab, was die durchreisenden Seeleute wohl noch zu zusätzlicher Eile anspornte.
Von alldem war jetzt, zu Beginn der Winterzeit, jedoch kaum etwas zu spüren. Zwar konnte man auf den größeren Flussarmen hier und da Schiffe antreffen – ihre Zahl wuchs sogar mit jedem Tag, den sie sich der Hauptstadt des Cedanischen Kaiserreiches näherten –, aber es kam zu keinen unerfreulichen Begegnungen. Mochte auch das Maschenwerk von Sethurs Spionen an der Golfküste so eng geknüpft sein wie ein Sardinennetz, hier auf dem Cedan war davon nichts zu bemerken.
Yonathan vermutete dahinter einen Plan: Wahrscheinlich hatte Sethur in Cedanor schon an jeder Straßenecke seine Posten platziert. Aber Yomi beruhigte ihn. Er erklärte, dass sie sich jetzt sozusagen im Vorhof von Zirgis’ Palast befänden.Überall gab es Patrouillen in der kaiserlichen blauen Uniform. Da würde sich das Gesindel nicht so frei bewegen können wie in abgelegeneren Provinzen.
Zwar wünschte sich Yonathan, Yomi möge Recht behalten, doch in seinem Innern nagten weiterhin Furcht und Zweifel. Er fürchtete nicht die Auseinandersetzung mit Sethurs Gefolgsleuten,
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