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Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Titel: Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Und was tut die englische Krone dann im September? Sie annektiert kurzerhand Südrhodesien. Wollt Ihr wissen, Mylord, wie ich darüber denke? Keiner dieser ehrenwerten Herren, die solche Entschlüsse fassen, fragt wirklich nach Gerechtigkeit. Man beschwert sich doch nur über die Franzosen, weil sie sich in einem Handstreich Reparationsleistungen gesichert haben, denen die britische Regierung noch lange wird nachlaufen müssen – vor allem jetzt, wo man in Deutschland gerade erst eine furchtbare Inflation gebannt hat. Da kommt es der englischen Krone doch gerade recht, wenn sie sich wenigstens im Süden Afrikas ein paar Pfründe sichern kann – auch wenn sie dadurch noch nachträglich das Hinschlachten all der Menschen rechtfertigt, die bei der sogenannten Befriedung des Gebiets in den Neunzigerjahren ums Leben gekommen sind…«
    Mister Marshall beendete seine erhitzte Rede abrupt, als er den unergründlichen Blick des alten Lords auffing. Während er sich vom Stuhl erhob, schloss er in ruhigen Worten: »Aber wie auch immer, wenn ich mit meiner Einstellung Eure Gefühle verletzt haben sollte, so tut mir das Leid und ich bitte hiermit um Verzeihung. Ich möchte genauso wenig wie Ihr, dass die Ausbildung Eures Enkels in die Hände eines falschen Mannes gelangt, eines Mannes, der nicht der Tradition des Hauses Jabbok entspricht. Ich werde mich jetzt besser verabschieden, Mylord. Vielen Dank, dass Ihr mir die Gelegenheit gabt…«
    »Immer langsam mit den jungen Pferden«, unterbrach Lord Jabbok den Lehrer, dessen Gesicht die Enttäuschung nicht ganz verbergen konnte. »Ich habe nichts davon gesagt, dass ich Sie nicht haben will.«
    Marshalls Miene verriet Verwirrung. »Aber…«
    »Sie gefallen mir«, fuhr Jonathans Großvater mit rauer, aber herzlicher Stimme fort. »Auch wenn es mir schwer fällt Ihre Ansichten in allen Punkten zu teilen. Sie stehen jedenfalls für Ihren Standpunkt ein, selbst wenn Sie sich dadurch Schwierigkeiten einhandeln. Das Letzte, was ich wollte, ist, dass mein Engel ein verdammter Opportunist wird.« Mit einem um Nachsicht bittenden Seitenblick auf Jonathan korrigierte sich Lord Jabbok: »Streichen Sie das Wort ›verdammt.‹ Wie auch immer, selbst wenn unser bisheriges Gespräch den Anschein erweckt haben mag, bin ich keinesfalls ein Militarist
    – und ein Konformist schon gar nicht! Die Jabboks sind für ihre Sturheit, wie es manche nennen, zwar lange genug gehasst worden, aber weder meine Vorfahren noch ich haben sich allzu viel um anderer Leute Meinung gekümmert.« Sein Blick wanderte mit mildem Ausdruck zu Jonathan und ruhiger fügte er hinzu: »Solange es sich dabei nicht um die des eigenen Enkels handelt. Der junge Lord Jabbok ist nämlich unentwegt darum bemüht, die Ansichten seines alten Großvaters zurechtzubiegen. Habe ich Recht, Jonathan?«
    »Das kommt dir nur so vor, Großvater.«
    »Na ja, Sie werden das schon noch merken, Mister Marshall«, wandte sich Lord Jabbok wieder an den Lehrer. »Das heißt, wenn Ihre Bewerbung noch gilt.«
    »Oh, natürlich«, erwiderte Marshall erfreut.
    »Eine Prüfung müssen Sie allerdings noch bestehen.«
     
    »Eine Prüfung? Sind meine Referenzen etwa nicht ausreichend, Mylord?«
    »Ihre Referenzen? Doch, doch, daran ist nichts auszusetzen. Nein, es geht um Jonathan, meinen Enkel. Ich werde keinen Lehrer für ihn einstellen, den er nicht akzeptiert. Wir beide haben da so eine Abmachung, verstehen Sie? Sie mögen das zwar als Mangel an Durchsetzungsvermögen meinerseits auslegen, aber so ist es nun mal.«
    »Das denke ich keinesfalls«, versicherte Marshall. »Schließlich wird hier eine enge und – hoffentlich – lang währende Beziehung begründet. Da sollte das Verhältnis schon auf Gegenseitigkeit beruhen. Ich bin gerne bereit mich jeder Prüfung zu unterziehen.« Er lächelte Jonathan freundlich an.
    Auch der alte Lord lächelte, jedoch viel hintergründiger. »Aber sehen Sie sich vor, Mister Marshall. Es gab andere vor Ihnen, die mit Pauken und Trompeten untergegangen sind.«
    »So schlimm bin ich eigentlich gar nicht«, sagte Jonathan, als er allein mit Mister Marshall in einer Ecke der Bibliothek saß. Hinter ihm türmten sich Bücher auf dem Fußboden, die er erst am Morgen ausgeräumt hatte, um im Regal für einen anderen Schatz Platz zu schaffen. »Mein Großvater übertreibt manchmal ein bisschen. Er versucht dadurch sein Gegenüber aus der Reserve zu locken, um festzustellen, wie er wirklich denkt.«
    »Ihr meint, seine

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