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Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Titel: Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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entfernten Nachfahren handeln, nicht wahr?«
    »Das klingt vernünftig«, pflichtete der Lehrer bei. »Aber worauf willst du hinaus, Jonathan?«
    »Ich überlege nur laut, Mister Marshall.« Jonathan sprach langsam und artikulierte jeden Satz betont deutlich. »Dieses Pergament könnte, wie Sie andeuteten, aus der Zeit Jesu Christi stammen. Vielleicht stammt es von einem Propheten oder einer Prophetin, wie Anna, der Tochter Phanuels, und sollte dem Zweck dienen die beiden Frauen zu trösten. Mir ist aufgefallen, dass die beiden trauernden Mütter in einem Satz genannt werden. Vielleicht lebten sie auch zur selben Zeit und verloren in etwa zur gleichen Zeit ihre Söhne. Aus der Bibel wissen wir ja, dass Maria getröstet war, als sie erfuhr, dass ihr Sohn, Jesus, von den Toten auferweckt worden war. Aber von der zweiten Frau wurde gesagt, ihr Sohn vollendete alle ihre Werke. Vielleicht war sie nicht mehr am Leben, sodass die Verantwortung für die Vollendung ihrer Aufgabe an ihre Nachkommen überging. Möglicherweise wurde ihr eigener, leiblicher Sohn von ihr getrennt und wuchs irgendwo anders auf, bekam Kinder und diese bekamen wiederum Kinder, bis schließlich der geboren wurde, von dem die Prophezeiung spricht. Wäre es vielleicht sogar möglich, dass dieser Enkelsohn heute, in unserer Zeit lebt, um die Aufgabe zu erfüllen, einer Tränenwelt zu ›immer währendem Trost‹ zu verhelfen?« Jonathan machte eine Pause. »Könnte er auserwählt worden sein, ohne selbst zu wissen, dass diese Tränenwelt seit vielen Generationen auf ihn wartet, ihn, den Erfüller der Prophezeiung?«
      
      
      

III.   Cedanor
     
     
    Cedanor, du Perle von Baschan,
    Du Juwel im Nabel von Neschan.
    Wer kann mit deiner Herrlichkeit sich messen?
    Könnt’ je dein strahlendes Gewirk vergessen?
     
    Unbekannter cedanischer Dichter
     
     
    Die letzten acht Tage waren nur schleppend vergangen. Seit dem Abschied von Galal hatte Yonathan stundenlang gedankenverloren am Bug der Mücke gesessen und nur gelegentlich eine melancholische Melodie auf seiner Flöte gespielt. Seinen Freunden gelang es kaum, ihn aufzumuntern. Er müsse über einiges nachdenken, hatte Yonathan gesagt. Und so nutzten Gimbar und Yomi die Zeit einander noch näher kennen zu lernen und ihre Freundschaft weiter zu vertiefen.
    Nachdem die Mücke die Schilflandschaft des Cedan-Deltas hinter sich gelassen hatte, segelte sie durch ein Sumpfgebiet, das fast bis an die Tore Cedanors reichte.
    Yomi erzählte begeistert von dem Land, das hinter dem Horizont lag. Jenseits der tückischen, grünen Moorlandschaft erstreckte sich vom Nordufer des Cedan bis zum fernen Drachengebirge hin das fruchtbare Land Baschan. Hier befand sich die Kornkammer des Cedanischen Reiches. Südlich des großen Stromes reichte der Sumpf bis an den Gebirgszug von Zurim-Kapporeth. Dahinter zog sich die Südliche Handelsroute Hunderte von Meilen durch trockenes Steppenland, das von wilden Nomaden bewohnt wurde, nachDarom-Maos, der Südfeste. Östlich dieser Handelsstraße begann die Wüste Mara, die kein Lebewesen zu durchqueren vermochte – so sagte man jedenfalls. Noch weiter im Osten lag Ganor, die Gartenstadt, an den Gestaden des Cedan. Ganor war das Ziel vieler Pilger. Die Stadt grenzte an den Garten der Weisheit, dem immer noch so fernen Ziel von Yonathans Reise.
    »Da, das sind die Mauern Cedanors!«, rief Yomi aufgeregt. Es war der Morgen des achten Tages auf dem Strom.
    Yonathan hatte noch geschlafen, undeutliche Bilder von seinem Traumbruder hatten ihn die ganze Nacht über begleitet. Blinzelnd kroch er unter der Bugplane hervor und stellte sich auf die Beine. Er musste die Augen mit der Hand beschirmen, weil die Morgensonne soeben über den Zinnen der Stadtmauer aufging. Das also war Cedanor, dachte er bei sich. Das Juwel im Nabel Neschans, wie ein alter Dichter einmal gesagt hatte.
    Tatsächlich wirkten die beinahe weißen Mauern der Stadt wie ein glitzernder Diamant in einem Bett aus grünem Samt. Schon ein erster Blick bestätigte all das, was er so oft auf dem Großen Markttag in Kitvar mit leuchtenden Augen vernommen hatte. Keine Stadt sei wie Cedanor. Nicht nur, weil sie größer war als all die Handelsstädte zwischen Qezeh und dem fernen Kandamar. Vielmehr war Cedanor Anfang und Ende aller großen Handelsrouten, der wirkliche Mittelpunkt des Cedanischen Reiches, wenn nicht ganz Neschans. Nicht nur wirtschaftlich, auch kulturell, militärisch und politisch war es das Zentrum der

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