Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
Welt. Nur was die Verehrung Yehwohs betraf, gab es einen Ort, der bedeutender war als Cedanor: Gan Mischpad, der Garten der Weisheit.
Zirgis, dem cedanischen Kaiser, gefiel das nicht besonders – erzählte man sich. Zwar gab er sich gern als gottesfürchtiger Mann, als ein Freund von Wissenschaft und Kultur, aber in seinem Herzen war er vor allem an der Festigung der Macht interessiert, für sich und für seine Dynastie. Schließlich sei das das legitime Recht eines jeden Herrschers, sagten viele. Yonathan empfand das nicht so. Im Sepher Schophetim gab es eine Stelle, wo geschrieben stand: »Allezeit, da du deinen Schritt auf dem Wege Yehwohs lenkst, wird sein Segen überströmend sein. Der Fürst, der auf seinen eigenen Arm vertraut, wird jedoch Verwüstung über sich und die Seinen bringen.«
Der Kaiser von Cedan war bekannt für seine Toleranz in Glaubensdingen. Obwohl er selbst der alten Religion anhing, die von den Richtern Neschans seit Urzeiten gehütet wurde, ließ er zu, dass die Priester Temánahs frei durch das Land streifen und Anhänger sammeln konnten. Yonathan erinnerte sich an den Vorfall bei Selin-Beridasch und an jenen bleichhäutigen, schwarz gewandeten Temánaher, mit dem er zusammengestoßen war, als er das heimatliche Kitvar verließ. Wer konnte schon wissen, wie groß Bar-Hazzats Einfluss inzwischen wieder war im Reiche Zirgis’, des Kaisers der Länder des Lichts? Schon einmal, vor langer Zeit, hatte Temánah die Stadt Cedanor mit seinen Heeren fast überrannt.
Während Yonathan noch über diese Dinge nachsann, holte ihn Yomi jäh in die Wirklichkeit zurück.
»Ich kann es kaum abwarten, die Weltwind und meinen guten alten Kaldek wieder zu sehen«, rief er aufgeregt. »Der wird schauen, wenn wir beide kommen!«
Gimbar wechselte einen Blick mit Yonathan. »Yomi«, sagte er leise. »Denke daran, dass wir vorsichtig sein müssen.«
»Wie meinst du das?«
»Wir können nicht einfach durch Cedanor laufen und nach Kapitän Kaldek fragen.«
»Das müssen wir gar nicht«, beteuerte Yomi. »Die Weltwind wird im Hafen nicht zu übersehen sein. Wir gehen einfach hin und wünschen meinem Vater allen Frieden.«
»Schau, Yo, es wäre besser, wir legen nicht im Neuen Hafen an, wo all die großen Handelsschiffe liegen. Ich habe gehört, dass es da, wo der Kanal vom Cedan abzweigt und in die Stadt führt, einen kleinen Anlegeplatz gibt. Wenn wir dort festmachen und zu Fuß in die Stadt gehen, fallen wir am wenigsten auf.«
»Aber…« Yomi streckte niedergeschlagen die Hände aus und sein Blick wanderte Hilfe suchend zu Yonathan.
»Gimbar hat Recht, Yo.« Yonathan schluckte. »Sethur hat bestimmt seine Spione in der Stadt. Und die werden natürlich vor allem die Weltwind beobachten. Wir würden nicht mal an Bord kommen.«
Yomi blickte zu Boden.
»Aber wir können es so machen, Yo«, schlug Yonathan vor. »Sobald wir Baltans Haus erreicht haben, schicken wir eine Botschaft in den Hafen. Kaldek kann dann in das Haus des Kaufmanns kommen und jeder wird denken, die beiden wollen über ein Geschäft verhandeln.«
Yomis Augen wanderten zwischen den beiden Freunden hin und her.
»Der Plan ist wirklich gut«, meinte auch Gimbar.
»In Ordnung«, sagte Yomi und zuckte traurig mit den Achseln. Ohne ein weiteres Wort machte er sich an der Takelage zu schaffen.
»Komm!«, sagte Gimbar munter zu Yonathan. »Lass uns Yomi helfen. Man kann schon den Durchgangshafen sehen. Wir müssen an Fahrt verlieren. Es wäre undankbar von uns, wenn wir unsere treue kleine Mücke über das Hafenbecken hinausschießen und an der Stadtmauer zerschellen ließen.«
»Und besonders unauffällig wäre es auch nicht«, stimmte Yonathan heiter zu. Yomi konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
Der Fluss, dem diese Stadt ihren Namen verdankte, war ein großer und mächtiger Strom, den man nicht einfach durch ein Loch in der Mauer leiten konnte, ohne damit auch einem Feind Tür und Tor zu öffnen. Man konnte nicht einmal eine Brücke hinüber bauen. Deshalb hatten sich die Erbauer Cedanors etwas Besonderes einfallen lassen: Der Fluss änderte kurz vor Cedanor seine Richtung und strömte außen um die gewaltige Stadtmauer herum. Jeder Angreifer, der sich vom Fluss aus der Stadt näherte, konnte von dort oben einfach und wirksam abgewehrt werden. Um aber in Friedenszeiten trotzdem die vielen Handelswaren schnell und bequem in die Stadt zu befördern, hatte man einen Kanal gegraben, der im Norden und im Süden die Stadtmauer
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