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Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Titel: Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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mehr, aber jeder Besitz hatte seine eigenen Wachen, die – ganz im Gegensatz zu den Wächtern der Stadt – ihre kleinen Reiche mit Argusaugen hüteten. Die drei Gefährten fühlten sich wie Fremdkörper unter den argwöhnischen Blicken der waffenstarrenden Wachmänner. Wo immer möglich, hielten sie sich mitten auf der Straße, um nicht den Diensteifer eines Bogenschützen oder Speerträgers herauszufordern. Dann wieder mussten sie stolzen Reitern, prachtvollen Pferdewagen oder schnaufenden Sänftenträgern ausweichen.
    Einmal wandte Yonathan seinen Blick talwärts und überschaute das ganze Panorama der Kaiserstadt. »Cedanor, du Perle von Baschan«, wiederholte er leise die Worte des unbekannten Dichters, der genau hier auf den Klippen gestanden haben musste, als er sein Loblied auf die große Stadt am Cedan schrieb. Wie das Licht auf der Oberfläche einer kostbaren Perle spielt, so brachte die Nachmittagssonne die weißen Dächer Cedanors zum Leuchten. Selbst die Armenviertel in der Unterstadt wirkten von hier aus nur eine Nuance dunkler, beinahe belebend für das Gesamtbild der Stadt. Die meisten Häuser hatten flache Dächer, auf denen ein fast ebenso großes Getümmel herrschte wie in den Gassen und auf den Plätzen. Die größeren Häuser der wohlhabenden Leute verbargen sich hinter hohen Mauern, die die Phantasie von Dieben sowohl beflügelten als ihr auch Zügel anlegten und die Intimsphäre ihrer Besitzer schützten.
    Sowohl der Schlossberg als auch die mehr als tausend Fuß hohen Klippen im Süden der Stadt waren erste Vorläufer des Gebirgszugs von Zurim-Kapporeth. Da die steil abfallenden Felsen Schutz genug boten, gab es hier, in der Oberstadt, keine eigentliche Stadtmauer.
    Am Ende der breiten, kurvig sich aufwärts windenden Straße erkannten die drei Wanderer die Umrisse eines besonders prächtigen Gebäudes. Weiße Mauern, gekrönt von blau, weiß und violett glasierten Ziegeln, umspannten ein Areal, das sich zu beiden Seiten den Blicken des Betrachters entzog. Hinter Mauern und Hecken ragte das Gebäude empor, das sich von allen anderen Häusern Cedanors unterschied. Es war kreisrund.
    »Glaubt ihr, die Wachen lassen uns überhaupt bis zum Tor vor?«, fragte Yomi und blickte zweifelnd zu den zwei hünenhaften Wächtern hinüber, die links und rechts neben dem breiten, dunklen Tor standen.
    »Lasst das nur mich machen«, beruhigte ihn Gimbar. Seine Adlernase zuckte unternehmungslustig.»Bleibt einfach hier stehen. Ich rede mit ihnen.«
    Die Wachen tauschten misstrauische Blicke und musterten skeptisch die kleine, muskulöse Gestalt, die sich ihnen näherte. Yonathan und Yomi beobachteten aus der Ferne, wie ein Wachtposten recht unfreundlich zu Gimbar sprach; es sah nicht nach einer Einladung aus.
    Doch Gimbar ließ sich nicht so schnell abweisen. Mit besänftigenden, aber bestimmten Gesten redete er weiter auf den Ehrfurcht gebietenden Riesen ein.
    Endlich rief der Hüne seinen Kameraden zu sich, den es ohnehin kaum noch an seinem Platz gehalten hatte. Der zweite Posten sah aus wie ein Zwilling des ersten. Beide zusammen bauten sich nun Respekt gebietend vor dem gedrungenen Gimbar auf – Kopf und Brust geschützt mit blank poliertem Stahl, bewaffnet mit Schwert, Schild und Speer, gewandet in Weiß, Blau und Violett, offenbar die Farben des Hauses Baltan.
    »Werden sie ihm etwas tun?«, fragte Yonathan besorgt.
    »Gimbar? Wie denn? Es sind doch nur zwei!«
    Yonathan blickte erstaunt in Yomis zuversichtliches Gesicht. »Vorhin klangst du aber noch ganz anders.«
    »Vorhin hatte ja Gimbar die Sache auch noch nicht in die Hand genommen.«
    »Deine Meinung von Gimbar scheint sich ja in letzter Zeit erheblich gewandelt zu haben.«
    »Ich hatte in der letzten Woche einige Gelegenheit dazu.«
    Yonathan erkannte, dass sein grüblerisches Verhalten der letzten Tage wie eine Absonderung von den Freunden ausgesehen haben musste.
    In diesem Moment stieß Gimbar wieder zu ihnen.
    »Und?«, drang Yomi ungeduldig in ihn. »Können wir hinein?«
    Gimbar grinste zufrieden. »›Du kannst kein Schiff entern, bevor du nicht längsseits gegangen bist‹, heißt ein altes Piratensprichwort.«
    »Verschon mich mit deinen Piratenweisheiten. Was hast du erreicht, Gimbar?«
    »Wir dürfen klopfen.«
    »Wir dürfen… was?«
    »Klopfen. Normalerweise wird jeder von den Wachen entschieden zurückgewiesen, der zu Baltan vorzudringen versucht.«
    »Aber was hilft es uns, wenn wir an die Tür klopfen dürfen?«, fragte

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