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Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Titel: Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Friede Neschans sei mit Euch«, wiederholte er die Grußformel. »Seid Ihr Gatam?«
    Das Gesicht entfernte sich einige Fingerbreit von derÖffnung. Der Dahinterstehende schien sich zu strecken.
    »Natürlich bin ich Gatam. Und wer seid Ihr, junger Herr?« Das letzte Wort klang eher spöttisch als respektvoll.
    »Ich bin Yonathan, Sohn Navran Yaschmons, das da ist Yomi, der Sohn Kaldeks, und dieser da ist Gimbar, der Sohn Gims. Ich glaube nicht, dass Ihr diese Namen kennt, aber es ist eine dringende Angelegenheit, die uns zu der Bitte veranlasst uns bei Eurem Herrn zu melden. Wir müssen Baltan unbedingt sprechen!«
    Die Augen in dem alten, schmalen Gesicht wirkten ein wenig verunsichert. Noch einmal glitten sie prüfend über die drei Bittsteller, nicht unfreundlich, aber auch nicht eben herzlich. Dann nahmen sie wieder ihre gleichgültige Mattigkeit an. »Ihr werdet staunen, ich kenne diese Namen wohl«, sagte die dünne, aber durchdringende Stimme. »Von Kaldek und der Weltwind spricht die ganze Stadt – manche behaupten, er sei von den Toten wieder auferstanden. Aber der Kaufmann Gim? Und dann gar einer der Charosim, Navran Yaschmon? Wer sagt mir, dass das nicht ein plumper Trick ist, um Euch hier einzuschleichen bei unserm Herrn? Ich muss Euer Begehren zurückweisen. Die Anordnungen unseres Herrn sind da sehr eindeutig.«
    Yonathan sah seine Felle davonschwimmen. Die Dienerschaft Baltans schien darauf gedrillt zu sein, jeden Fremden gnadenlos abzuweisen, wenn er nicht gerade aussah wie der Kaiser selbst. Oder zumindest wie ein steinreicher Kaufmann. Yonathan schloss die Augen und nahm seine ganze Beherrschung zusammen. »Gatam!«, flehte er. »Lasst uns zu Eurem Herrn. Es könnte Euch Kopf und Kragen kosten, wenn Ihr es nicht tätet. Wollt Ihr das riskieren?«
    Kurz zeigte sich Unsicherheit in dem zerknitterten Gesicht, aber nicht sehr lange. »Nein. Ich vermag es nicht. Bringt mir ein offizielles Papier und Ihr werdet Einlass finden. So aber geht es wirklich nicht.« Die Klappe fiel abermals zu; wohl eher eine Verzweiflungstat des Haushofmeisters, der sich vom unangenehmen Anblick dieser Besucher befreien wollte.
    »So, jetzt reicht’s«, zischte Yonathan, so leise, dass es nur seine Freunde hören konnten. Er langte über die Schulter, öffnete den Köcher, hob ein zappelndes Pelzknäuel heraus und zog dann Haschevet ans Licht.
    Die beiden Wachen hatten zu ihren Schwertern gegriffen, da sie nicht wussten, was der fremde Knabe da aus dem eigenartigen Behälter auf seinem Rücken hervorzuziehen gedachte. Doch als sie sahen, dass es keine Waffe, sondern nur ein Stab war, nahmen sie wieder die entspannte Haltung ein, mit der sie bis dahin das unterhaltsame Geschehen verfolgt hatten.
    Yonathan klappte den Türklopfer hoch und schlug Haschevets Knauf gegen das Tor. Als der goldene Adlerschnabel auf die Messingplatte traf, ertönte ein Laut, der die beiden Wachen vor Schreck erstarren ließ. Aller Kräfte beraubt kippten sie mit weit aufgerissenen Augen wie Mehlsäcke um – wohl eine Wirkung ihrer grenzenlosenÜberraschung, denn der Ton war in keiner Weise Furcht erregend. Im Gegenteil! Der Laut, den Haschevet verursachte, glich dem hellen, bezaubernden Klang einer Harfe. Es war nur ein einziger Ton, der da erklang. Doch was für ein Ton das war! Schnell schwoll er an zu einem machtvollen Klang, der ganz Cedanor erfasste, der sich in den Felsen des Gebirges von Zurim-Kapporeth brach und dort noch lange nachhallte und der die Wasseroberfläche des Cedan mit einem feinen Kräuselmuster überzog. Jeder in Cedanor vernahm diesen Laut. Sterbende erhoben sich ein letztes Mal von ihrem Lager, um diesem verheißungsvollen Ton zu lauschen, bevor sie ihr Leben mit ihm verklingen ließen. Neugeborene hielten in ihrem ersten Schrei inne und lauschten dem Klang. Die Menschen liefen auf die Straße und schauten zum Himmel empor. Doch der langsam abschwellende Ton war überall. Niemand wusste, woher er gekommen war und wohin er verschwand.
    Das heißt, fast niemand. Yonathan, Yomi und Gimbar blickten erstaunt und ehrfürchtig auf den Stab Haschevet. Gurgi hatte sich in den leeren Köcher geflüchtet.
    Während die beiden Wachen, Yonathan und den Stab nicht aus den Augen lassend, allmählich wieder auf die Beine kamen, öffnete sich eine Tür inmitten des Tores aus Ebenholz und heraus trat die Gestalt eines kleinen Mannes: drahtige Statur, schneeweißes Haar und ein beinahe faltenloses Gesicht, das Gutmütigkeit, Weisheit und

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