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Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Titel: Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Autorität ausstrahlte. Der Weißhaarige starrte abwechselnd Yonathan und dann wieder den Stab Haschevet an und es verstrich eine geraume Zeit, bis er endlich Worte fand.
    »Ich dachte schon, ich würde es nicht mehr erleben. Aller Friede sei mit Euch, Träger des Stabes. Tretet ein, Ihr und Eure Gefährten. Mein Haus sei Euer Haus.« Die kleine Gestalt verneigte sich tief und machte mit dem Arm eine einladende Geste.
    Yonathans Sprache versagte – er fühlte sich überrumpelt. Zugleich befiel ihn eine seltsame Befangenheit, als er des kleinen Mannes ansichtig wurde. Es war, als würde er einem engen Verwandten – einem älteren Bruder vielleicht oder noch besser einem Großvater – nach langem Suchen endlich gegenüberstehen. Zwar kannte er Baltan von Navrans Erzählungen, wusste, dass beide Freunde waren, aber die Gewalt, mit der das Gefühl der Vertrautheit ihn ergriff, machte ihn benommen. Es dauerte lange, bis er endlich den Gruß erwidern konnte.
    »Der Friede sei mit Euch und mit Eurem Haus, das Ihr uns so großzügig zur Verfügung stellt, ehrenwerter Baltan. Ihr seid doch Baltan, oder?«
    »Oh, verzeiht, natürlich, das ist mein Name.« Baltan neigte sein Haupt abermals. Mit angenehm tiefer, etwas rauer Stimme fügte er hinzu: »Aber tretet doch ein, ehe Ihr mir Eure Namen verratet.« Der Kaufmann wiederholte die Geste, mit der er die Ankömmlinge zum Eintreten ermunterte.
    Yonathan überquerte als Erster die hohe Türschwelle. Als er sah, was sich dahinter verbarg, verschlug es ihm aufs Neue die Sprache. Für einen Jungen, der in einer kleinen Fischerhütte aufgewachsen war, mutete das Anwesen Baltans wie das eines Königs an.
    Ein herrlicher Garten breitete sich vor ihm aus. Zahlreiche kleinere Pfade luden zum Lustwandeln und steinerne Bänke zum Verweilen ein. Ein größerer Kiesweg, etwa eine halbe Meile lang und so breit, dass zwei Vierspänner bequem aneinander vorbeifahren konnten, führte geradewegs auf das runde Hauptgebäude zu. Dazwischen blühten Blumen – selbst zu dieser Zeit, im Monat Kislew – und zu beiden Seiten des Weges sprudelten zwei große Springbrunnen. In zwei großen Vogelkäfigen leuchteten fliegende Edelsteine in allen Farben. Sauber beschnittene Hecken und prächtige alte Bäume schufen einen Zauber, in dem sich Kunst und Natur in einzigartiger Harmonie vereinten.
    »Was für eine freudige Überraschung!«, rief Gimbar aus, und obwohl Yonathan diese Wortwahl etwas merkwürdig fand, musste er doch dessen Begeisterung teilen – wie wohl jeder, der diesen Garten betrat. Als er den Blick von den Bäumen, Büschen und Wiesen losriss, stellte er jedoch fest, dass etwas ganz anderes Gimbars Aufmerksamkeit fesselte.
    »Darf ich Euch die Krone meines Herzens vorstellen, meine Frau Scheli, und das Licht, das diese Krone beständig widerstrahlt, meine Tochter Schelima.« Baltan streckte den beiden Frauen, die sich der Gruppe der Fremden ein wenig zaghaft näherten, aufmunternd die Hände entgegen.
    Gimbar wartete nicht, bis seine Freunde etwas erwiderten. Unbekümmert und herzlich verneigte er sich vor Scheli und sagte: »Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Gimbar. Euer Gemahl darf sich glücklich schätzen eine solch strahlende Krone für sein Herz gefunden zu haben.«
    »Ihr schmeichelt mir, junger Mann«, erwiderte Scheli und verneigte sich mit Anmut und geröteten Wangen.
    Gimbar lächelte gewinnend. Dann wurde sein Blick von der jüngeren Frau angezogen, die gerade zwanzig Jahre zählen mochte. Doch noch ehe er etwas sagen konnte, ließ diese verlauten: »Sieh dich vor, Mutter! Er ist sicher ein Schmeichler und macht jeder Frau Komplimente.« Die Grübchen auf ihren sommersprossigen Wangen gaben ihrem nachfolgenden Lachen eine spitzbübische Note.
    »Schelima!«, rief Scheli ihre Tochter zur Ordnung. »Wie sprichst du von unserem Gast?«
    Gimbar fand dank dieser Zurechtweisung Gelegenheit sich von dem unerwarteten Angriff zu erholen. Mit einer Gewandtheit, die Yonathan und Yomi in Erstaunen versetzte, ging er zum Gegenangriff über. »Eure Tochter hat Recht. Kein noch so edles Wort kann sich mit der Schönheit einer Frau messen. Wenn aber gleich zwei solche Blumen einen Garten zieren, dann sollte man schweigen. Der Hausherr jedoch darf sich mehr als glücklich schätzen.«
    Mit den letzten Worten verneigte sich Gimbar in vollendeter Form noch einmal vor Baltan und trat zurück, um seinen Gefährten Gelegenheit zur Begrüßung zu geben. Schelimas braune Augen funkelten.

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