Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
Yonathan las darin Kampfeslust – und noch etwas anderes.
Baltan hatte den galanten Auftritt seines Gastes mit wohlwollendem Lächeln betrachtet. Jetzt stellte er fest: »Wäre da nicht Euer Name, Gimbar, Sohn des Gim, würde Euer Äußeres und die Art, wie Ihr mit Worten umzugehen versteht, Euch verraten. Ihr seid ein Ebenbild Eures Vaters. Ihr seid doch der Sohn des Gims, der ein bedeutender Kaufmann war, oder irre ich mich?«
»Ihr irrt Euch keineswegs.« Gimbar lächelte aus Dankbarkeit darüber, dass er im Hause Baltans nicht als Pirat, sondern als Sohn eines ehrenwerten Mannes aufgenommen wurde.
»Es muss über zwanzig Jahre her sein, dass Gim bei einem Piratenangriff verschollen ging. Damals hatten er und seine Frau Dagáh noch keine Kinder und jetzt steht sein Sohn leibhaftig vor mir. Ihr müsst mir beim Essen unbedingt erzählen, wie es Euren Eltern seitdem ergangen ist.«
»Das werde ich«, versprach Gimbar. »Ihr scheint meinen Vater gut gekannt zu haben?«
»Gim und ich haben so manches Geschäft miteinander getätigt. Wir waren gute Geschäftsfreunde. Als ich erfuhr, dass die Piraten ihn und Dagáh entführt hatten, habe ich meine Verbindungen spielen lassen, um etwas in Erfahrung zu bringen. Aber alles blieb erfolglos. Schließlich musste ich das Schlimmste vermuten.«
Gimbar war gerührt. Sogar der Blick Schelimas wurde sanfter, als Gimbar mit bewegter Stimme eingestand: »Es ist wunderbar, einen Freund meines Vaters zu treffen, einen Menschen aus der Zeit, von der Vater und Mutter immer mit Wehmut und guten Erinnerungen gesprochen haben.«
Der übernatürliche Ton, den der Stab Haschevet gerade erst über Cedanor ausgesandt hatte, war nicht ohne Folgen geblieben, was das Gespräch zwischen Baltan und seinen Gästen betraf. Doch Gimbars herzliche Worte ließen die ehrfürchtige Zurückhaltung schnell dahinschmelzen. Das setzte sich fort, als Yomi sich in seiner etwas linkischen Art als der Adoptivsohn Kaldeks vorstellte, den Baltan ebenfalls seit langem kannte und schätzte. Die zweigeteilte Gesichtsfarbe des langen Seemanns wurde taktvoll und höflich übergangen.
Als schließlich Yonathan sich als Pflegesohn Navran Yaschmons zu erkennen gab, brachen die letzten Barrieren.
»Navran? Navran!«, rief Baltan, erst ungläubig, dann ergriffen und überschwänglich: »Hat er es also doch geschafft, der alte Yaschmon. Ich wusste, dass er Goel nicht enttäuschen würde. Ihr müsst mir unbedingt alles erzählen. Kommt schnell ins Haus. Das gibt es einfach nicht! Alles müsst ihr mir erzählen, alles.«
Die Freude des weißhaarigen Mannes, der Yonathan gerade noch, Gimbar aber schon nicht mehr überragen konnte, war unbeschreiblich. Er hüpfte wie ein kleiner Junge herum und klatschte ausgelassen in die Hände. Scheu und ihre Tochter teilten sein Glück. Die beiden Torwachen dagegen spähten – besorgt um ihren Herrn – mit großen Augen durch die noch immer geöffnete Pforte. Gatam, der Erste der Diener Baltans, zog sich mit betretener Miene in den Hintergrund zurück. Ein schlechtes Gewissen plagte ihn, hatte er doch die Ankömmlinge für dreiste Schwindler gehalten.
»Herr!«, rief er jetzt erschrocken. »Da! Auf dem Rücken des Jungen.« Voller Aufregung deutete er auf das Wesen, das sich an Yonathans Schulter emporhangelte.
»Oh!«, rief Scheu. »Was ist das?«
Schelima kam interessiert näher.
»Das?« Yonathan hielt Gurgi die Hand hin und der Masch-Masch nahm bereitwillig darauf Platz. »Dich hätte ich fast vergessen.« Gurgi wirkte verschüchtert. Seit jenem überirdischen Laut, mit dem Haschevet die Welt zum Klingen gebracht hatte, war sie nicht mehr aus ihrem Versteck hervorgekommen. An Baltan, Scheli und Schelima gewandt, erklärte Yonathan: »Das ist Gurgi, ein Masch-Masch. Sie stammt aus dem Verborgenen Land und tut niemandem etwas.«
»Sie?«, fragte Baltan.
»Ja. Gurgi ist ein Mädchen.«
»Oh, ist die süß!«, brach es aus Schelima hervor. »Darf ich die Kleine mal streicheln?«
»Ich weiß nicht. Sie hat ihren eigenen kleinen Kopf und manchmal…«
Weiter kam Yonathan nicht. Mit einem Anflug von Eifersucht beobachtete er, wie Gurgi bereitwillig auf Schelimas Hand hinüberwechselte. Wie durch Zauberei hatte diese ein kleines Stück trockenes Gebäck in der Hand, das Gurgi freudig entgegennahm, und dann ließ sie sich, genüsslich knabbernd, sogar hinter dem Ohr kraulen.
Ein fröhliches Lachen erfüllte den Garten. Baltan wiederholte seine Einladung: »Jetzt kommt aber
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