Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
von Navran Yaschmon, der ihm die Familiengeschichte des Kaisers erzählt hatte.
Bomas, der acht Jahre ältere Sohn Zirgis’, diente als Oberbefehlshaber der Grenztruppen in der Südregion. Er war als verschlagener und gefürchteter Kämpfer bekannt und so mancher dichtete ihm Unbesiegbarkeit an. Immerhin hatte esBomas geschafft, die temánahischen Übergriffe auf das Territorium des Cedanischen Kaiserreiches einzudämmen. Bomas war der offizielle Thronfolger und viele behaupteten, dass er in seiner Gerissenheit seinem Vater nicht nachstehe, viele prophezeiten auch, dass es mit ihm wegen seiner ungestümen Art kein gutes Ende nehmen werde.
Felin dagegen galt als feinsinnig und war ein nachdenklicher junger Mann, der stets im Schatten seines älteren Bruders gestanden hatte. Er litt sehr darunter, dass sein Vater nie mit ihm zufrieden war. Unter Sahavel – wie Navran einer der Charosim und zugleich offizieller Vertreter Goels am Hofe des Kaisers – war Felin gleichermaßen in der Weisheit des Sepher Schophetim wie auch in den Wissenschaften Neschans und der allgemeinen Staatsführung erzogen worden. Zirgis, von den genialen »Wundertaten« Barasadans verwöhnt, zeigte jedoch wenig Wertschätzung für die geistigen Anstrengungen seines Sohnes. Mit dreizehn oder vierzehn Jahren wandte sich Felin dann der Jagd und den Waffenkünsten zu; vielleicht, weil er seinem älteren Bruder nacheifern wollte und glaubte, dadurch die Anerkennung und Liebe seines Vaters gewinnen zu können.
Derlei Gerüchte waren aber nur die halbe Wahrheit. Die Einsamkeit der zerklüfteten Bergregion von Zurim-Kapporeth oder der Wälder Baschans waren Balsam für Felins verwundetes Herz. Die Waffenübungen verschafften ihm oftmals mehr Erleichterung als die Studien geistiger und weltlicher Lehren. Es hieß, inzwischen sei er und nicht mehr Bomas der beste Schwertkämpfer im Reich. Doch auf Gerüchte gab der Kaiser nicht viel. »Zum Kämpfen habe ich meine Soldaten, aber zum Denken brauchen sie ihren Kaiser«, hatte er angeblich einmal gesagt. In der letzten Zeit hatte sich Felin immer lieber der wohligen Mattigkeit überantwortet, die er nach vielstündigen Übungen mit dem Waffenmeister Qorbán verspürte. Zumindest konnte man danach schnell einschlafen, ohne viel über die Ungerechtigkeit der Welt nachdenken zu müssen.
Die Spannungen in Felins Innern zeichneten auch seine Züge. Seine blauen Augen strahlten Traurigkeit aus, und selbst wenn er lächelte wie jetzt, lag eine Melancholie darin, die unergründlich schien wie ein dunkler Bergsee, auf dessen Oberfläche sich das Sonnenlicht spiegelt, ohne je seinen Grund zu erreichen.
Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, besaß der junge Felin etwas Anziehendes. Er war etwa sechs Fuß groß und sehr schlank. Wenn Gimbars Bewegungen denen einer Raubkatze glichen, wartete Felin mit der Anmut eines edlen Vollblutpferdes auf. Seine feingliedrigen Hände ließen eher auf einen Musiker schließen als auf jemanden, dessen Schwert als unbesiegbar galt. Auffällig war auch die einzelne schneeweiße Locke, die in Felins aschblondem, im Sonnenlicht leicht rötlich schimmerndem Haar leuchtete wie ein geheimes Zeichen der Natur, ein versteckter Hinweis, dass auch im Kopf eines jungen Menschen schon ein wenig von der tiefen Weisheit des Alters wohnen konnte.
Über der Schulter trug der Prinz einen cedanischen Langbogen aus Eibenholz und am Gürtel einen langen Dolch mit einem kostbaren Griff aus Gold und Elfenbein. Die übrige Ausstattung Felins bestand aus unauffälliger und zweckmäßiger Jagdbekleidung. Nur die hohen braunen Lederstiefel verrieten eine Neigung zum Luxus: Es war ihnen anzusehen, dass es ein Vergnügen sein musste sie zu tragen.
»… und das hier ist der junge Yonathan, Sohn des Navran Yaschmon.« Yonathan schrak aus seinen Betrachtungen hoch.
»Es freut mich, Euch kennen zu lernen, Yonathan Yaschmon.«
Felins Stimme war wohlklingend, so angenehm in Yonathans Ohren, dass er spürte, wie eine Saite in seinem Herzen angeschlagen wurde. Mit bewegter Stimme erwiderte er: »Nennt mich bitte Yonathan. Ich habe es mir noch nicht verdient, nach meinem Vater benannt zu werden.«
Eine Erinnerung huschte über Felins Gesicht; er selbst hatte einmal ebenso gedacht. »Dann müsst Ihr mich Felin nennen.«
Zirgis runzelte die Stirn. Er hatte Yonathan zwar selbst gebeten ihn »Hoheit« zu nennen, aber diese Vertraulichkeit erschien ihm weder angemessen noch protokollgemäß.
Aber diese kleine
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