Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
verschwand rückwärts schreitend im Hintergrund.
Der Kaiser riss sich von der Dame los, deren gewaltiger Busen noch von regelmäßigen Nachbeben erschüttert wurde. Zirgis winkte den Hauptmann noch einmal zu sich heran und flüsterte ihm etwas zu. Gleich darauf entfernte sich der Leibgardist mit langen Schritten und rasselnder Rüstung. Endlich wandte sich der Kaiser seinen Gästen zu.
»Baltan!«, rief Zirgis übertrieben freundlich. Ohne Yonathan, Yomi und Gimbar eines Blickes zu würdigen, sprang er behände von seinem purpurroten Kissen und eilte auf den Kaufmann zu. »Mein guter Freund, wie schön Euch zu sehen! Wie geht es Euch? Und vor allem, wie geht es der anmutigen Scheli und ihrer bezaubernden Tochter?«
Baltan deutete eine Verneigung an und erwiderte: »Ihr ehrt mich, Hoheit. Danke, wir alle sind wohlauf. Ich hoffe, es geht Euer Majestät und Euer Majestät Gemahlin ebenso gut?«
»Seid bedankt für Eure Sorge, edler Baltan«, erwiderte die füllige Dame mit einem freundlichen Nicken. Ihr Gesicht trug jetzt eine würdige Miene, aber in ihren Augen glänzten noch Lachtränen. »Warum habt Ihr Scheli nicht mitgebracht? Ich hatte mich auf sie gefreut!«
»Euer Gemahl rief mich zu einem geschäftlichen Termin, kaiserliche Hoheit. Sicher wird sich auch bald wieder Gelegenheit für ein erquicklicheres Beisammensein ergeben.« »Ganz bestimmt, Baltan«, sagte der Kaiser. »Bald beginnen die Feierlichkeiten des Thronjubiläums. Selbstverständlich seid
Ihr, Eure Gemahlin und Eure reizende Tochter dazu eingeladen. Doch nun zu Euren Begleitern. Wen habt Ihr uns da mitgebracht?«
»Hoheit, dies ist Yonathan, der Sohn Navran Yaschmons.«
Yonathan verneigte sich tief. Er war sehr nervös. Vor Piraten und Heeroberste zu treten, war eine Sache, aber dem Souverän des Cedanischen Kaiserreiches gegenüberzustehen war etwas ganz Anderes. Unbeholfen stammelte er: »Es ist mir eine besondere Ehre, Eure kaiserliche Majestät.«
Für gewöhnlich richtete der Kaiser zuerst das Wort an einen Untertan und es galt als der Gesundheit förderlich, sich daran zu halten. Zirgis schaute jedoch lächelnd darüber hinweg. Yonathan hatte ohnehin das Gefühl, der Herrscher interessiere sich weniger für ihn als für den Köcher, den er auf dem Rücken trug.
»Warum so förmlich?«, erwiderte er nur. »Sage einfach ›Hoheit‹ zu mir. Das macht die Unterhaltung einfacher.«
Zirgis’ Vertraulichkeit verunsicherte Yonathan. Er bedankte sich mit einer weiteren Verbeugung, vermied aber dem Staatsoberhaupt in die Augen zu schauen.
Baltan beobachtete die Szene mit Argwohn. Jetzt stellte er auch Yomi und Gimbar vor, als Söhne von kaisertreuen Kaufleuten und Steuerzahlern.
Während nun die üblichen Förmlichkeiten ausgetauscht wurden, hatte Yonathan Gelegenheit den Kaiser genauer zu betrachten. Eigentlich ein ganz normaler Mensch, fand er. Zirgis war nicht sehr groß, aber wohlgenährt. Halblange, schwarze, glatte Haare umrahmten ein flaches Gesicht mit seltsam mandelförmigen Augen und einer kleinen, rot geäderten Knollennase, die dem Monarchen zusammen mit den funkelnden dunkelbraunen Augen ein merkwürdig verschlagenes Aussehen verliehen. Unter einem offen stehenden, pelzgefütterten Mantel trug das Staatsoberhaupt ein enges, dunkelblaues Beinkleid und einen mit Goldtressen besetzten, scharlachroten Rock, an dem lose ein goldener Knopf baumelte. Er wird ihn verlieren, dachte Yonathan schmunzelnd. Baltan hatte nicht umsonst diese Schwäche des Kaisers erwähnt und geraten sie zu übersehen.
Jetzt aber wurde Yonathans Aufmerksamkeit wieder auf die Unterhaltung zwischen Zirgis und den Gästen gelenkt. Der Kaiser verengte die Augen zu einem kritisch-prüfenden Blick und wandte sich an Yomi.
»Sagt, Kaufmann Yomi, vielleicht ist es das Licht, das durch die Baumkronen fällt, aber mir deucht, Euer Gesicht hätte zwei Farben?«
Yonathan hatte das Gefühl, von einem Augenblick zum nächsten wären alle Geräusche verstummt und die Luft knisterte vor Spannung. Während Yomis Gesicht rot anlief – was den Farbunterschied seiner beiden Gesichtshälften merklich abschwächte –, schenkte nun auch die Kaiserin dem blonden Seemann schmunzelnd ihre Aufmerksamkeit. Selbst der kritzelnde Gelehrte mit der merkwürdigen Kopfbedeckung schaute kurz auf, wandte sich aber gleich wieder seinen Aufzeichnungen zu.
Ehe Yomi etwas Verhängnisvolles erwidern konnte, raunte Yonathan hinter vorgehaltener Hand: »Mit Verlaub gesagt, Hoheit, es ist ein
Weitere Kostenlose Bücher