Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
Verstimmung konnte das strahlende Lächeln des Kaisers nicht lange trüben. Mit wachsendem Argwohn vernahm Baltan die Worte Zirgis’ an seinen Sohn.
»Felin, kümmere dich bitte ein wenig um unseren jungen Gast hier. Zeige ihm den Palast und alles, was er sehen möchte. Ich habe derweil mit Baltan und den beiden anderen jungen Kaufleuten hier ein kleines Problem zu besprechen. Es geht um das Thronjubiläum und ich bin gespannt, wie der alte Fuchs Baltan mir dieses Mal aus der Klemme helfen wird.«
Zirgis’ Bitte klang unverfänglich, aber Yonathan hatte das Gefühl, als wenn daran etwas nicht stimmte.
Baltan musste wohl ebenso denken, denn er warf ein: »Aber Majestät, ich habe keine Geheimnisse vor dem Jungen und außerdem könnte es nicht schaden, wenn er schon in frühen Jahren lernt, wie man die Probleme des Lebens meistert.«
»Baltan, mein Guter, Euer Ansinnen ehrt Euch. Auch ich bin für eine gute Erziehung, aber das, was ich mit Euch und Euren jungen Zunftbrüdern besprechen möchte, würde den Knaben nur langweilen. Außerdem ließ ich Felin extra durch Hauptmann Kirkh davon zurückhalten, auf die Jagd zu gehen.«
»Also gut«, gab Baltan zähneknirschend nach. »Dann lasst es uns hinter uns bringen. Ich habe heute noch eine Menge zu tun.«
»Gibt es Wichtigeres, als Eurem Kaiser zu dienen? Kommt, lasst uns in mein Arbeitszimmer gehen. Dort habe ich die Unterlagen, zu denen ich Eure Meinung hören wollte.« Er lüpfte die verbeulte Alltagskrone von Barasadans Unterlagen. »Nehmt euch ruhig Zeit«, rief er seinem Sohn heiter zu. »Wir sind bestimmt so bald nicht fertig.«
Dann war Yonathan mit Felin allein. Kaiserin, Dienerschaft und Leibwache hatten ohne ihren Herrn keinen Grund mehr sich noch länger im Park aufzuhalten und kehrten erleichtert in die geheizten Palastmauern zurück; die wärmende Sonne wurde nun von dunklen Wolken verhüllt. Barasadan hatte sich in die entgegengesetzte Richtung entfernt; er jagte einigen vom Wind aufgewirbelten Pergamentblättern hinterher.
»Komm«, ermunterte Felin seinen Gast. »Vom Garten hast du bestimmt genug gesehen. Ich zeig dir den Palast.«
Yonathan schob den Riemen seines Köchers zurecht und sie wandten sich dem Hauptgebäude zu. In diesem Moment drangen die Sonnenstrahlen ein letztes Mal zwischen den Wolken hindurch und ließen vor Yonathans Füßen etwas aufblitzen. Er blieb stehen und bückte sich nach dem funkelnden Etwas im winterwelken Rasen.
»Das sieht meinem Vater ähnlich«, bemerkte Felin amüsiert, noch bevor Yonathan begriff, was er da in den Händen hielt.
»Aber das ist doch… der Knopf vom Kaiser«, stellte der verwundert fest. »Ich habe vorhin gesehen, dass er nur noch an einem Faden hing.«
»Du tatest gut daran, deine Beobachtungen für dich zu behalten.«
»Wird Euer Vater wirklich so wütend, wenn ihn jemand auf seine verlorenen Knöpfe anspricht?«
Felin nickte mit einem Lachen. »Das ist eine komische Geschichte. Er hat, solange ich mich an ihn erinnern kann, die Angewohnheit mit seinen Knöpfen zu spielen – bis sie ihm schließlich abfallen. Meine Mutter hat diese Nachlässigkeit schon immer aufgeregt. Da mein Vater diese Schwäche nicht ablegen konnte oder wollte, reizten ihn derartige Bemerkungen schließlich so sehr, dass ihn keiner mehr auf seine losen Knöpfe ansprechen durfte. Die Dienerschaft macht sich mittlerweile einen Sport daraus, die Knöpfe meines Vaters aufzusammeln. Es ist so eine Art legalisierter Diebstahl.«
Yonathan schaute auf den goldenen Knopf in seiner Hand und schüttelte den Kopf. »Wenn Ihr nicht der Sohn des Kaisers wäret, ich würde glauben, Ihr tischtet mir ein Märchen auf.« Er schaute wieder zu Felin auf und fügte hinzu: »Aber das mit den vielen Diebstählen am Hofe ist wirklich schlimm, Felin. Hier«, er hielt dem Prinzen den Knopf entgegen, »nehmt ihn. Ich will nicht zu den Dieben im Hause Eures Vaters zählen.«
Felin hielt abwehrend die Hände hoch und sagte lachend: »Nein, nein, behalt ihn nur, Yonathan. Betrachte ihn als ein Geschenk der kaiserlichen Familie.«
Yonathan zog die Hand zurück. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken das Eigentum des Kaisers zu behalten. Er beschloss, den Knopf bei der nächstbesten Gelegenheit irgendwo im Palast liegen zu lassen. Oder vielleicht ließ sich Gimbar sogar überreden, dem Kaiser beim Abschied das gute Stück irgendwie zuzustecken; er verstand sich bestimmt auch auf solche Taschenspielertricks. Yonathan zuckte die Achseln und steckte
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