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Nesser, Hakan

Nesser, Hakan

Titel: Nesser, Hakan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Perspektive des Gaertners
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meine Kräfte reichen nicht für
eine neue Welle des Wahnsinns. Guter Gott, denke ich, lass sie nicht den Verstand verlieren, lass nicht alles den Bach runtergehen. Lass etwas geschehen, das uns wieder ein bisschen Hoffnung gibt.
    Aber
dass Sarah tatsächlich am Leben sein soll? Ich wage diesen Gedanken kaum zu
denken.
    Ich
spüre, wie ich tatsächlich hier sitze und bete, und während ich es tue, möchte
ich Gott gleichzeitig um Verzeihung bitten - dafür, dass ich nun wirklich kein
tüchtiger oder zuverlässiger Arbeiter im Weinberg gewesen bin; ganz im
Gegenteil, solche wie ich haben nicht das Recht, mit Forderungen oder allen
möglichen Wünschen oder auch nur Gebeten anzukommen. Und trotzdem. Trotzdem?
    Ich
trinke aus der Flasche, die ich mitgebracht habe, einen Schluck Wasser und
versuche zu der nüchternen Frage zurückzufinden: Was bringt Winnie dazu zu
glauben, Sarah wäre noch am Leben? Was ist hier
in dieser Stadt, das ihr ein Zeichen gibt? Wenn man nun
einmal davon ausgehen will, dass das Ganze nicht nur ein Traum- oder
Hirngespinst ist.
    Und
plötzlich fällt mir ein, dass es Winnie war, die New York vorgeschlagen hat.
Sie war es, nicht ich, die sich unter all den denkbaren Orten auf der Welt
diesen Zufluchtsort ausgesucht hat, als wir schließlich beschlossen, das Alte
hinter uns zu lassen. Ich war sofort mit ihrem Vorschlag einverstanden gewesen,
und ich war auch derjenige, der sich um die ganze Abwicklung kümmerte; aber
die Initiative war von ihr ausgegangen. Und verblüffenderweise kommt mir diese
Tatsache erst an diesem milden Herbstsonntag im Fort Tryon Park in den Sinn.
    Wir
hatten locker über Rom, London oder Barcelona gesprochen, ohne Enthusiasmus, aber
eines Morgens, irgendwann im Januar, da hatte Winnie erklärt, sie hätte in der
Nacht von New York geträumt - von einer Wanderung über die Brooklyn Bridge, die
sie vor vielen Jahren mit einer Freundin gemacht hatte, genauer gesagt -, und
sie fände, wir sollten dorthin ziehen, es wäre doch nur gut, wenn wir ein
ganzes Meer zwischen das Alte und das Neue legten. Genauso wie es die
Immigranten zu allen Zeiten gemacht hatten.
    Wie
gesagt, ich war nicht schwer zu überreden gewesen, und auch dieser Ausdruck hatte
mir gefallen: ein Meer zwischen das Alte und das Neue legen. Auch wenn es in
keiner Weise funktionierte, so war es doch zumindest ein schönes Bild.
     
    Ich
komme mit meinen Fragen nicht weiter. Nicht in Bezug auf das Motiv, das hinter
Winnies New-York-Initiative steckte, und sonst auch nicht. Stattdessen höre ich
plötzlich Sarahs Stimme in meinem Kopf: Papa, jetzt musst du mal
kommen und gucken, was ich gebaut habe!
    Ganz
deutlich höre ich sie; es muss gewesen
sein, kurz bevor sie verschwand, vielleicht sogar am selben Vormittag. Ihre
Stimme ruft auch ein Bild hervor. Sie sitzt an ihrem Schreibtisch und ist
gerade mit einer Ritterburg fertig geworden. Ich stehe in der Tür, habe dort
schon eine Weile gestanden, ohne dass Sarah es bemerkt hat. Als sie ruft, dass
ich kommen soll, dreht sie den Kopf und entdeckt mich. Überrascht darüber, dass
ich bereits da bin, breitet sie die Arme aus, und das halbe Gebäude fällt zu
Boden. Wir brauchen zwanzig Minuten, um es gemeinsam wieder aufzubauen, ja,
wenn ich jetzt daran denke, dann wird mir klar, dass es tatsächlich am selben
Vormittag war.
     
    Ich
verlasse meine Bank, schlendere mit klopfendem Herzen noch eine Weile im Park
herum, bevor ich zurück zur Metro in der 190. Straße gehe. Das Atmen fällt mir
schwer. Wie kann eine Stimme nach so langer Zeit so deutlich zu hören sein?
     
    16
     
    »Es
ist nur ein Vorschlag«, sagt Mr. Edwards. »Es kann kaum schaden, und ich nehme
dafür kein Honorar.«
    »Ich
bin Ihnen für Ihr Angebot äußerst dankbar«, erwidere ich. »Aber ich weiß nicht
so recht.«
    »Sie
halten es für unpassend, dass ein Mann seine Ehefrau überwachen lässt?«
    »Ja«,
stimme ich zu. »Ich habe so etwas noch nie getan. Nicht einmal in Gedanken. Es
kommt mir... ja, unpassend vor, genau wie Sie gesagt haben.«
    Mr.
Edwards nickt und schiebt seine Brille zurecht. »Viele Männer in Ihrer
Situation denken so. Ich möchte fast behaupten, dass alle guten Männer es tun. Wenn ein Mann seine Frau aus irgendeinem
Grund verdächtigt, dann fällt damit auch ein Schatten auf ihn selbst. Das ist
unausweichlich, und jeder muss selbst
klarkommen damit - und Stellung dazu beziehen. Aber Sie müssen sich ja nicht
hier und jetzt entscheiden. Mein Angebot gilt.«
    Ich
danke ihm

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