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Nesser, Hakan

Nesser, Hakan

Titel: Nesser, Hakan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Perspektive des Gaertners
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tretet doch ein.«
    »Sollen
wir wirklich?«, fragt die Frau und mustert mich aus nächster Nähe. Ihre Augen
hinter den Flaschenböden sehen aus wie hungrige blaue Quallen.
    »Wir
wollen aber nicht...«, sagt der Mann hinter ihrem Rücken zögernd. Ich erinnere
mich, dass Winnie gesagt hat, er sähe aus wie Dostojewski, vielleicht hat er
sich zur Feier des Stadtbesuchs den Bart abrasiert.
    »Kommt
herein«, sage ich. »Natürlich kommt ihr für einen Moment rein. Darauf bestehe
ich.«
    »Wir
haben ein paar Scones gekauft«,
erklärt Barbara Kripnik, und ihr Mann hält als Beweis die braune Papiertüte
hoch.
     
    »Und
du heißt also Erik und bist ihr Mann?«
    »Ja.«
    Sie
haben sich aufs Sofa gesetzt. Ich habe die Scones auf einen Teller gelegt und bin dabei, Kaffee zu kochen. Regular
coffee, in dieser Hinsicht bin ich voller Vorurteile und
beachte die Espressomaschine gar nicht.
    »Nette
Wohnung«, sagt Fingal Kripnik und schaut sich um.
    »Ich
kann mir denken, dass es teuer ist, hier zu wohnen«, meint seine Ehefrau.
    »Viel
zu teuer«, bestätige ich.
    »Wir
sind nur ein paar Tage zu Besuch hier«, erklärt Barbara Kripnik. »Fingais
Bruder in Babylon ist Freitag achtzig geworden, und wir sind seit
fünfundzwanzig Jahren nicht mehr in New York gewesen.«
    »Babylon?«,
wundere ich mich.
    »Long
Island«, erklärt Fingal Kripnik.
    »Long
Island«, bestätigt Barbara. »Er macht in Wohnungen.«
    »Grundstücksmakler«,
erklärt Fingal. »Aber inzwischen pensioniert.«
    »Ist
in Rente gegangen«, sagt Barbara.
    »Ich
verstehe«, sage ich.
    »Wir
sind Farmer«, sagt Fingal.
    »Ja«,
nicke ich, »Winnie hat das erzählt.«
    »Sie
nennt sich jetzt nur Winnie?«, fragt Barbara. »Nach dem, was passiert ist?«
    »Winnie,
ja«, bestätige ich. »Aber eigentlich heißt sie Winnifred.«
    »Ach
ja?«
    »So
ist es uns jedenfalls gesagt worden«, sagt Barbara Kripnik. »Wir haben sie ja
nie kennen gelernt.«
    Ich
merke, dass etwas nicht stimmt in diesem Gespräch, aber ich kann nicht sagen,
was. Noch nicht.
    »Nun
ja, wir sind natürlich auch nur sehr weitläufig verwandt«, fährt Barbara fort.
»Ihre Mutter und ich, wir sind Cousinen. Aber das weißt du vielleicht auch?«
    Ich
sage, dass Winnie mir auch das erzählt hat, und füge hinzu, dass sie sich
darauf gefreut hat, ihre Verwandten zu treffen. Aber leider im Augenblick
nicht zu Hause ist.
    »Wie
schade«, sagt Barbara Kripnik. »Und sie kommt nicht so bald wieder zurück?«
    »Ich
denke nicht«, sage ich und sehe auf die Uhr.
    »New
York ist eine lärmende Stadt«, sagt Fingal. »Ganz was anderes als Montana. Du
solltest mal Montana sehen.«
    »Fingal
ist dort geboren«, erklärt Barbara. »Ich selbst lebe dort erst seit vierzig
Jahren.«
    »In
Montana kann man das Laub fallen hören«, sagt Fingal. »Und die Vögel furzen.«
    »Wir
haben vier Kinder«, sagt Barbara. »Aber die sind natürlich ausgeflogen. Sieben
Enkelkinder. Habt ihr Kinder, Winnifred und du?«
    »Ich
weiß nicht«, sage ich.
    Es
herrscht Schweigen. Ich stehe mit dem Rücken zu ihnen, immer noch mit dem
Kaffeeaufbrühen beschäftigt, kann aber hören, dass sie den Atem anhalten.
    »Du
weißt nicht?«, fragt Barbara Kripnik nach fünf Sekunden. »Was soll das
bedeuten?«
    Einen
kurzen Augenblick lang lasse ich die Hand in der Lostrommel ruhen. Ich könnte
sagen, dass ich nur einen Scherz gemacht habe, es wäre die einfachste Sache der
Welt - offensichtlich haben sie keine Ahnung, was mit Sarah passiert ist -,
aber ich entscheide mich für den anderen Weg; aus irgendwelchen vollkommen
beliebigen und unbegreiflichen Gründen tue ich das. Wenn es sich nicht um eine
Art hundeähnlicher Witterungsaufnahme handelt.
    »Unsere
Tochter ist vor anderthalb Jahren entführt worden«, sage ich.
    Ich
drehe mich um. Beide starren mich an.
    »Entführt?«,
fragt Barbara Kripnik. »Du willst damit sagen, dass dein und Winnies Kind
entführt worden ist?«
    »Ja«,
bestätige ich. »Wir wissen nicht, was mit ihr passiert ist.«
    »Wie
heißt sie?«, will Barbara wissen, als würde der Name in diesem Zusammenhang
irgendeine Rolle spielen.
    »Sie
heißt Sarah«, antworte ich. »Sie war viereinhalb Jahre alt, als sie verschwand.«
    »Mein
Gott!«, ruft Barbara Kripnik aus, schlägt sich die Hand vor den Mund und sagt
mit entsetztem Blick. »Ich meine... noch einmal?«
    Ich
nicke und stelle die Kaffeekanne auf den Tisch. Setze mich neben Fingal Kripnik
auf das Sofa. »Das stimmt«, sage ich. »Winnie hat zwei Kinder verloren.

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