Nesser, Hakan
abstattet.
5.
Oktober. Winnie verschwindet aus unserer Wohnung in der Carmine Street; sie teilt mir mit, dass sie für einige Zeit fort
sein wird und dass ich nicht nach ihr suchen soll. Außerdem schreibt sie, dass
es um Sarah geht.
11.
Oktober. Ich suche Geraldine Grimaux auf und erfahre von 14.-17.
13.
Oktober. Ich begebe mich in die Catskills. In einem Cafe in der Ortschaft
Meredith erhalte ich von einem gewissen Fred Sykes die Information, ich solle
an einem Platz, der Haughtaling Hollow heißt, weitersuchen, was ich auch tue -
nur kurz und ohne Erfolg. 22. 14. Oktober. Zurück in New York erhalte ich durch
Zufall den Schlüssel zu einem Haus, das ganz in der Nähe von Meredith und
Haughtaling Hollow liegt.
Hier
breche ich meine Auflistung ab. Lese die 22 Punkte noch einmal durch und
versuche mir vorzustellen, dass es sich um eine Gleichung handelt, die eine
Lösung hat. Die ich zu
lösen hier und jetzt im Stande wäre, wenn ich nur im Besitz der erforderlichen
analytischen Fähigkeiten wäre.
Doch
dem ist nicht so. Ich kann mir solch eine Struktur immer noch nicht
vorstellen, bei näherem Betrachten ähnelt das Ganze meiner Meinung nach einer
missglückten Filmsynopsis, und ich beginne eine nagende Ohnmacht in mir zu spüren.
Durch das offene Fenster zum Hof hin kann ich hören, wie einer der Kater des
Viertels jammert. Unermüdlich und voller Trübsinn, vermutlich sitzt er auf
einem der Feuerbalkone des Nachbargrundstücks in der Downing Street, es ist verfallen und für den Schleuderpreis von 3,5
Millionen Dollar zu haben. Der Kater singt davon, dass die Männer immer zu kurz
kommen, denke ich mir; von der Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit und von der
Unfähigkeit, dieses verfluchte Leben wirklich in den Griff zu bekommen.
Vielleicht
ist er auch einfach nur hungrig. Nach einer Weile stehe ich auf und schließe
das Fenster. Es ist halb zehn; mir fällt das Zigarettenpäckchen ein, das ich im Buffalo Zack's in Meredith
gekauft habe, ich ziehe mir eine Jacke über und mache mich auf einen langen
Spaziergang. Hoffe, dass allein die Bewegung meinem Zustand innerer Verneblung
alle Kraft nehmen wird.
Ganz
hinunter bis zur Battery und
wieder zurück gehe ich - es ist ein milder, fast windstiller Abend, ich rauche
vier oder fünf Zigaretten, während eine zunehmende Übelkeit in mir aufsteigt, komme
mit einem heruntergekommenen, übergewichtigen Transvestiten in ein sinnloses
und leicht bedrohliches Gespräch, und als ich endlich daheim in der Carmine ins Bett krieche, ist es bereits nach Mitternacht. Wenn ich
auch sonst nichts zustande gebracht habe, so habe ich mich zumindest für einen
weiteren Besuch da oben in den Catskills entschieden. Vielleicht nicht gleich
morgen, aber an einem der nächsten Tage. Es muss sein.
Immerhin
etwas, denke ich, und trotz entgegengesetzter Befürchtungen schlafe ich so
ziemlich umgehend ein. Wache erst acht Stunden später von beharrlichem
Türklingeln wieder auf.
32
Beharrlich
und aufdringlich. Ich wanke aus dem Bett und drücke auf den roten Knopf, der
die Haustür unten zur Straße hin öffnet. Im Glauben, es handele sich um
irgendeine Lieferung, ziehe ich mir Jeans und Hemd an und kann mir sogar noch
zwei Hände kaltes Wasser ins Gesicht spritzen, bevor es an der Wohnungstür
klopft.
Ich
öffne. Draußen stehen ein Mann und eine Frau, beide in den Siebzigern, soweit ich
beurteilen kann. Sie weiter vorn, er etwas hinter ihr. Sie trägt ein
blaugeblümtes Kleid unter einem beigefarbenen, aufgeknöpften Mantel. Graues,
glattes Haar umrahmt ein viereckiges Gesicht mit breitem Mund und blassblauen
Augen; sie sind stark vergrößert hinter dicken, runden Brillengläsern. Der
Mann trägt einen braunen Anzug mit Weste, sein Gesicht ist länglich wie das
eines Pferdes, und dünne Haarsträhnen liegen sorgfältig gekämmt über der rot
gefleckten Glatze. In einer Hand hat er einen Hut, in der anderen eine Papiertüte.
»Wir
sind wohl falsch«, sagt die Frau.
»Ja«,
sage ich. »Das sind Sie wohl.«
»Hier
wohnt wohl nicht Winnifred Mason?«
»Winnifred?«,
wiederhole ich, und im selben Moment weiß ich, wer da steht.
»Winnifred
Mason«, wiederholt die Frau. »Wir haben gestern eine Nachricht hinterlassen.
Ich heiße Barbara Kripnik, und der hinter mir, das ist mein Mann, Fingal
Kripnik. Wir sind Verwandte von ihr aus Montana. Aber sie wohnt also nicht hier?«
»Doch,
doch«, sage ich. »Winnie wohnt hier. Sie ist nur momentan nicht zu Hause. Aber
bitte,
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