Nesser, Hakan
gesagt?«, frage ich. »Tupolsky.«
»Nichts
von Bedeutung«, sagt Mr. Edwards. »Um ein Gespräch mit einem der Ärzte aus
dieser Klinik zu bekommen, ist offenbar einiges an Papierkram nötig, aber sie
werden es tun, sobald es nur geht. Momentan müssen wir uns mit den Entlassungspapieren
begnügen. Aron Fischer wurde von drei Oberärzten der Psychiatrie unabhängig
voneinander als vollkommen gesund beurteilt, als er am 15. Oktober 2005 in die
Freiheit entlassen wurde. Abgesehen von der allerersten Zeit war er offensichtlich
ein vorbildlicher Patient.«
»Beeindruckend«,
sage ich.
»Was
ist daran so beeindruckend?«, fragt Mr. Edwards.
»Dass
er nur wenige Monate, nachdem er seine Tochter ermordet und seine Frau zu
ermorden versucht hat, vollkommen im Gleichgewicht ist. Was für eine Behandlung
hat er denn bekommen?«
»Ich
weiß es nicht«, seufzt Mr. Edwards. »Die richtigen Medikamente und eine gute
Therapie, manchmal kann das wirklich funktionieren.«
»Offenbar«,
sage ich. »Wie schön für ihn.«
»Ja,
sicher«, nickt Mr. Edwards. »Wenn er nicht so raffiniert war, die ganze Bande
anzuschmieren.«
»Gibt
es irgendwelche Anzeichen, die darauf hindeuten, dass er so raffiniert sein
könnte?«, frage ich.
»Nicht
so weit ich es weiß«, sagt Mr. Edwards. »Aber wir wissen ja ziemlich wenig,
sowohl Sie als auch ich. Was gedenken Sie nun zu tun?«
Ich
überlege eine Weile.
»Ich
weiß es nicht«, muss ich zugeben. »Nach Hause gehen und über die ganze
Geschichte nachdenken, nehme ich an.«
»Wir
könnten ausgehen und etwas essen«, schlägt er vor.
Ich
danke für das Angebot, erkläre aber, dass ich zusehen will, früh ins Bett zu
kommen. Ich habe seit einer Woche nicht mehr richtig geschlafen, jetzt habe ich
das Gefühl, es ist an der Zeit dafür.
Dann
danke ich ihm auch noch für alles andere, und bevor ich ihn verlasse,
versprechen wir einander, am Wochenende voneinander hören zu lassen.
Aber
bereits als ich unten auf der Straße ankomme, habe ich einen Entschluss
gefasst.
Auch
deswegen, weil ich meinen armen alten Privatdetektiv nicht noch weiter in die
Geschichte hineinziehen möchte, als ich es bereits getan habe. Das Bauchgefühl
muss auch hier den Ausschlag geben.
Es
ist der 19. Oktober, ich mache einen Umweg und wandere langsam am Fluss entlang
nach Hause. Bleibe eine Weile am Springbrunnen in Höhe der Christopher Street
sitzen. Wind von Nordwest, klare Luft, hoher Himmel. Witterung?, denke ich.
Nein,
ich glaube nicht. Das ist nur der Wind, nur eine Einbildung.
34
Meine
zweite Fahrt nach Upstate New
York beginnt mit Hindernissen.
Der
Autoverleih in der Thompson Street hat mir einen Wagen vor zwölf Uhr
versprochen, aber dann muss ich stundenlang auf einen verspäteten Anwalt aus
Maine warten. Viertel nach zwei statt vor elf Uhr kommt er mit hängender Zunge
auf den Hof gefahren. Nach etlichem Papierkram kann ich endlich losfahren, aber
zu dieser Uhrzeit ist der Verkehr durch die Stadt und den West Highway hoch
dicht und nervend. Es ist schon halb vier, als ich über die George Washington
Bridge fahre.
Anschließend
läuft es eine Dreiviertelstunde ganz gut, aber ein Stück weiter auf dem Highway
17 stoße ich auf umfassende Straßenbauarbeiten. Statt drei Fahrbahnen müssen
wir uns auf eine einigen; es geht unerträglich langsam, ab und zu kommt es für
mehrere Minuten ganz zum Stillstand, und es ist schon nach sechs Uhr, als ich
mein Ticket für die Interstate 87 entgegennehmen kann.
Ungefähr
gleichzeitig kommt der Regen. Eine dunkle Wolkenbank ist im Laufe des
Nachmittags im Nordwesten angewachsen; ein paar schwere Tropfen prallen auf
die Motorhaube, dann öffnet sich der Himmel. Bald fahre ich dreißig Meilen die
Stunde in einem hartnäckigen Platzregen. Mir brennt der Hals von zu vielen
Tassen schlechtem Kaffee, meine Lebensgeister befinden sich kurz über dem
Nullpunkt, und mir wird klar, dass ich meine Pläne für diese widerspenstige
Reise ändern muss.
Gestern
Abend habe ich mit Romario gesprochen. Der mir erneut versicherte, dass ihr
Haus zu meiner Verfügung steht, und mir Instruktionen gab, wie man Wasser und
Strom zum Laufen bringt. Außerdem eine sehr genaue Wegbeschreibung gab, das
Grundstück liegt offenbar ziemlich einsam und nicht weit entfernt von dem
finsteren Haughtaling Hollow, mit dem ich bereits Bekanntschaft gemacht habe.
Aber
in dieser Bärengegend in Regen und Dunkelheit an einem fremden Haus anzukommen,
ist nicht besonders verlockend,
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