Nesser, Hakan
es mir gesagt hat«, versichere
ich noch einmal. »Niemandem, Sie haben mein Wort.«
Er
bleibt einige Sekunden lang still sitzen. Dann räuspert er sich und richtet
sich ein wenig auf. »Fischerman«, sagt er. »Das war bei den Fischermans. Ich
habe da gearbeitet.«
Die
kleine Namensdiskrepanz irritiert mich für einen Moment.
»Fischerman?«,
frage ich. »Nicht Fischer?«
»Fischerman«,
wiederholt er. »Hinten an der Haughtaling Hollow Road.«
»Erzählen
Sie weiter«, bitte ich, und ich spüre die Spannung in meinen Schläfen pochen.
Wie Risse in einer Eisdecke, kurz bevor sie aufbricht. »Bitte, erzählen Sie
weiter.«
Er
trinkt einen Schluck von dem schrecklichen Kaffee, den seine Mutter für uns
gemacht hat. Fährt sich mit der Zunge über die Zähne und scheint mit seiner
schwer erkämpften Loyalität zu ringen. Ich denke, wenn ich jemals einen
Waschlappen getroffen habe, dann heißt er Fred Sykes.
»Die
brauchten Hilfe beim Roden«, erklärt er schließlich. »Darum bin ich da hin.«
»Ja,
und?«
»Ich
arbeite ein bisschen in der Landwirtschaft und so.«
Ich
werfe einen Blick aus dem Fenster und erinnere mich an das Sprichwort von dem
Schuster, der die schlechtesten Schuhe trägt. Aber ich sage nichts.
»Da
war ein Baum auf eine Stromleitung gefallen«, fährt Fred Sykes fort. »Und
einiges mehr. Da musste so einiges gesägt werden. Nicht mehr als ein Job für
einen halben Tag und... ja, da habe ich sie gesehen.«
»Sie
haben diese Frau gesehen?«
Ich
zeige auf das Foto von Winnie, das zwischen uns auf dem Tisch liegt.
»Kann
sie gewesen sein.«
Ich
mache mir nicht die Mühe, diese Aussage noch einmal bekräftigt zu bekommen.
»Wann?«, frage ich stattdessen. »Wann war das, genauer gesagt?«
Er
zuckt mit den Schultern. »Vor zehn Tagen. Oder acht...«
Ich
denke hastig nach. »Und diese Fischermans, wie viele sind das?«
»Drei«,
sagt Fred Sykes.
»Drei?«
»Jetzt
sind es drei.«
»Jetzt?«,
bohre ich nach. »Was meinen Sie damit? Und wer sind sie?«
Er
windet sich erneut, scheint aber beschlossen zu haben, dass er sich für den
richtigen Weg entschieden hat. Es ist zu spät, es zu bereuen und umzukehren.
»Da
sind zunächst Tom und Jeff«, erklärt er. »Und dann Aron, der ist letztes Jahr
gekommen.«
»Aron?«,
wiederhole ich.
»Ja.
Aus Europa. Er ist auch Toms Sohn, obwohl niemand von ihm gewusst hat.«
Die
Eisdecke in meinem Kopf reißt weiter auf. »Ich verstehe. Und Jeff?«
»Jeff
ist Toms Sohn. Die wohnen da... ja, schon lange. Seit Tom aus dem Krieg zurück
ist.«
»Aus
welchem Krieg?«, frage ich. »Na, aus Vietnam natürlich.«
»Dann
hat Tom Fischerman also am Vietnamkrieg teilgenommen?«
»Mhm.«
»Weiter.«
»Ja,
was denn noch? Er ist Veteran. Ist zurückgekommen und hat ein Mädchen aus
Poughkeepsie geheiratet. Dann haben sie Jeff gekriegt, und dann hat sie ihn
verlassen.«
»Sie
hat Mann und Kind verlassen?«
Er
nickt nachdrücklich und sieht einen Moment lang fast zufrieden aus. »Ja, so
war das. Sie hieß Jennifer. Hat Tom und den kleinen Jeff verlassen. Jeff war
nicht älter als drei.«
»Dann
ist er jetzt...?«
Fred
Sykes schließt die Augen und versucht nachzurechnen. »Keine Ahnung.
Wahrscheinlich etwas über dreißig. Er ist behindert, in seinem Kopf stimmt
irgendwas nicht.«
Ich
nicke und versuche an alle Informationen zu kommen, die ich kriegen kann. »Und
der andere Sohn?«, frage ich. »Der zurückgekommen ist... wie hieß der noch?«
»Aron.«
»Aron,
ja. Und wie alt ist er ungefähr?«
Fred
Sykes zuckt erneut mit den Schultern. »Weiß ich nicht so genau. Habe ihn
höchstens drei, vier Mal gesehen, die bleiben lieber unter sich, die
Fischermans. Vierzig vielleicht? Oder noch nicht ganz? Tom jedenfalls ist ein
paar Jahre älter als ich. Achtundsechzig.«
Ich
frage mich, wie wir plötzlich auf diese Ziffernübungen gekommen sind. »Warum
hat sie ihn verlassen?«, frage ich stattdessen. »Jeffs Mutter, meine ich.«
»Das
weiß man nicht«, sagt Fred Sykes und schaut erneut zu Boden. »Aber es heißt...«
»Ja?«
»Es
heißt, dass Tom Fischerman manchmal etwas verrückt sein kann. Jedenfalls seit
er aus dem Krieg zurück ist, er hat einen Granatsplitter im Kopf oder so.
Vielleicht sind es auch nur die Erlebnisse dort.«
Ich
versuche auch das zu schlucken. Dann entschließe ich mich zu einem neuen
Schachzug.
»Wissen
Sie was, Fred«, setze ich an. »Was halten Sie davon, wenn ich Sie zum Essen
einlade. Wir fahren nach Oneonta, essen was und
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