Nesser, Hakan
ihn
finden kann?«
Sie
überlegt einige Sekunden, bevor sie antwortet. Lässt ihren Blick über das
leere Cafe wandern und fegt ein paar Krümel vom Tresen.
»Timberton
Road«, sagt sie dann. »Das dritte Haus linker Hand. Genau wie ich es letztes
Mal gesagt habe. Er lebt da mit seiner alten Mutter.«
Ich
nicke. »Die 28, Richtung Oneonta?«
»Ja,
genau.«
»Danke
schön.«
»Wenn
sie nicht inzwischen gestorben ist«, fügt sie hinzu. Ich suche Geld in meiner
Tasche, kaufe mir einen halben Liter ungenießbaren Kaffee und verlasse sie.
Fred
Sykes' Mutter sitzt in einem Korbstuhl auf der Veranda vor einem der
heruntergekommensten Wohnhäuser, die ich jemals gesehen habe, und es dauert
eine Weile, bis ich erkennen kann, ob sie lebt oder tot ist. Sie ist in alle
möglichen dicken Kleidungsstücke und Decken gewickelt, eine Schicht über der
anderen, und sie hat mehrere großgemusterte Kopftücher umgebunden. Die Augen
in dem braunrunzligen Gesicht sind geschlossen, aber der Mund steht
sperrangelweit offen.
Um
den Stuhl herum stehen kaputte Blumentöpfe mit halb verwelkten Pelargonien und
Begonien, zwei kräftige Krücken liegen überkreuz auf dem Tisch neben ihr, und
ich nähere mich ihr mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Ungläubigkeit.
Sie
reagiert weder auf meinen ersten Versuch, sie anzusprechen, noch auf den
zweiten. Ich sehe mich auf dem traurigen Grundstück hilflos um; alte Autowracks
und Maschinenteile kämpfen mit diversen Müllsäcken und unbenutztem Baumaterial
unter verschimmelten Planen um den wenigen Platz. An die Wand eines schiefen,
verrosteten Metallschuppens gelehnt stehen eine Badewanne, daneben eine
ausrangierte Waschmaschine und zwei Toilettenschüsseln. Ein Mausoleum
fehlenden Unternehmungsgeistes und missglückter Projekte; vor etwas, was
vielleicht einmal als Hundehütte gedacht war, liegt ein schwarzbrauner Köter
neben einer Schlammpfütze, er hat sich nicht im Geringsten für meine Ankunft
interessiert und scheint ebenso wenig Energie in sich zu haben wie sein
Frauchen oben auf der Veranda.
Nach
einer halben Minute kommt ein Lebenszeichen. Die alte Frau Sykes holt laut
rasselnd tief Luft, ein scharfkantiges Schnarchen ist das, und dieses grelle
Geräusch lässt sie zusammenzucken und aufwachen.
»Entschuldigung«,
nutze ich die Gelegenheit, »ich würde gern mit Fred Sykes sprechen. Ist er zu
Hause?«
Sie
starrt mich mit blutunterlaufenen, tränenden Augen an.
»Was?«
»Fred«,
wiederhole ich. »Ist er da? Ich müsste mal kurz mit ihm sprechen.«
Ihr
Unterkiefer mahlt eine Weile, wobei sie mich aber nicht aus den Augen lässt.
»Fred
ist bei der Arbeit«, sagt sie mit überraschend klarer Stimme. »Er ist um drei
Uhr zurück.«
Ich
bedanke mich für die Information und schaue auf die Uhr. Es ist Viertel nach
zwei.
»Ich
verstehe«, sage ich. »Dann werde ich noch eine Runde drehen und später
zurückkommen.«
»Halb
vier«, sagt sie. »Er kommt immer zu spät, der Lümmel. Man kann sich nicht auf
ihn verlassen.«
Ich
nicke.
»Seine
Schwester war viel besser. Aber sie ist im Krieg gestorben.«
Ich
bedanke mich auch für diese Informationen. Überlege einen Moment, um welchen
Krieg es sich wohl gehandelt haben kann. Und wie es kommt, dass eine Frau in
ihn gezogen ist.
Aber
ich frage nicht nach. Gehe zurück zum Auto und fahre rückwärts von dem
vollgemüllten Hofplatz.
»Haughtaling
Hollow? Sie haben gesagt, ich sollte nach dieser Frau in Haughtaling Hollow
suchen. Erinnern Sie sich?« Fred Sykes seufzt und windet sich, sagt jedoch
nichts. »Nun?«
»Ja,
vielleicht habe ich was in der Richtung gesagt.«
»Das
haben Sie. Sie haben gesagt, dass Sie sie wiedererkennen.«
»Was?«
»Sie
haben behauptet, Sie hätten sie gesehen.«
Es
ist mir schnell klar, dass es keinen Sinn hat, vorsichtig mit Fred Sykes
umzugehen. Offenbar bereut er, was er mir am letzten Samstag erzählt hat, und
wenn ich ihm die Chance gebe, da rauszukommen, wird er sie sofort nutzen.
Er
kratzt sich am Hals, sein Blick flackert. »Vielleicht, kann schon sein«, brummt
er. »Aber ich habe mich geirrt.«
»All
right«, sage ich. »Wenn Sie sich geirrt haben, dann ist das nicht so schlimm.
Aber wo genau war es, wo glauben Sie, sie gesehen zu haben? Ich verspreche
Ihnen, Ihren Namen in diesem Zusammenhang nicht zu erwähnen.«
Er
zuckt mit seinen mageren Schultern und betrachtet den schmutzigen Boden
zwischen seinen schmutzigen Stiefeln.
»Ich
werde niemandem sagen, dass Sie es waren, der
Weitere Kostenlose Bücher