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Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest

Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest

Titel: Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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hoab di goar zu gern, i mag di leide«, selbst hier an dieser ernsten Stätte brachte der fidele Krabbe Annemarie sein Ständchen.
    Im selben Augenblick trat der Professor ein. Lebhaftes Füßescharren empfing ihn. Diese studentische Art der Begrüßung kannte Annemie schon von ihren Brüdern. Professor Bergholz sprach ein paar einleitende Worte, begrüßte die neuen Hörer und sprach die Hoffnung aus, daß die gemeinsame Arbeit eine erfolgreiche sein möge. Dann begann er das erste anatomische Kolleg über Zellenlehre.
    Mit gezücktem Kugelschreiber, das schwarze Heft vor sich, folgte Annemarie dem Vortrag. Es war gar nicht so einfach, gleich das erste Mal alle medizinischen Fachausdrücke zu begreifen; Annemarie mußte sich grenzenlose Mühe geben, um den Faden nicht zu verlieren. Gern hätte sie den neben ihr sitzenden Neumann hin und wieder um Aufklärung gebeten. Aber der schrieb - schrieb - als gelte es ein Wettlaufen mit dem Bleistift auf dem Papier. Lauter Hieroglyphen malte er auf das Blatt. Ach, hätte sie doch auch während ihrer Schulzeit stenografieren gelernt! Marlene, Ilse und Marianne hatten sich an einem Kursus beteiligt; aber Annemarie fand das Tennisspiel, das gerade auf diesen Nachmittag festgesetzt war, wichtiger.
    Nun sah sie neidisch zu, wie die anderen die Vorlesung mitstenografierten, während ihr Kollegheft nur zusammenhanglose Worte enthielt.
    »Lassen's nur bleibe«, flüsterte Krabbe, der ihre vergeblichen Anstrengungen, mitzukommen, beobachtete. »I schreib' scho' alles Nötige dahier und mach' Ihne davon eine Abschrift.«
    »Vielen Dank«, flüsterte Annemarie erleichtert. Es war doch angenehm, wenn man Freunde besaß. Aber da hatte sie durch die Unaufmerksamkeit eines Augenblicks zwei Sätze überhört. Nun saß sie wie verraten und verkauft da und fand den Anknüpfungspunkt nicht wieder.
    Als der Professor endete, ging es Annemarie wie ein Mühlrad im Kopf herum.
    Ganz blaß sah sie aus.
    »Kommen's mit in die Luft, daß nit so verdattert dreinschaue tun«, rief Neumann.
    »Ja, gleich«, Annemarie zögerte noch. »Gleich -« sie stand am Ausgang und musterte jede einzelne hinausgehende Kollegin. Die Studenten weckten bei ihr kein Interesse. Sie suchte unter all den Gesichtern nach einem schmalen Antlitz mit klugen Zügen, braunem Haar und grauen Augen. Aber soviel Annemarie auch schaute, es wollte sich kein Madchengesicht zeigen, das diese Züge trug.
    Sicher war Fräulein Hartenstein nicht unter den Hörern.
    Draußen standen Ilse und Marlene, erstere mit hochrotem Kopf; sie warteten auf Nesthäkchen.
    »Es war gar nicht so schlimm. Denk mal, die beiden Studentinnen, denen wir am ersten Tag nachgelaufen sind, haben die gleiche Vorlesung belegt. Da bin ich wenigstens nicht ganz verlassen ohne mein zweites Ich«, teilte Ilse erleichtert mit.
    »Und wie war das Kolleg?«
    »Genau wie in der Schule, der Professor hätte nur noch Vokabeln abhören und rauf und runter setzen müssen.«
    »Bei mir war es riesig interessant. Professor Binder hat die Physik unter mir ganz neuen Gesichtspunkten beleuchtet. Ich hätte ihm den ganzen Vormittag zuhören können!« Die sonst ruhige Marlene war lebhafter als Annemarie.
    »Na, mein Bedarf ist gedeckt. Mir ist mein Kopf, als ob ich ihn in einen Schraubstock gesteckt hätte«, meinte diese.
    »Ah, die drei Grazien beieinand'. Grüß euch Gott, Kinderle. Heut nachmittag les' ich euch wieder Kolleg, das ist nit so arg anstrengend.«
    »Auf den Nachmittag wird ein Bummel g'macht, da zeige mer euch halt das obere Neckartal. Und wenn's brav seid, geht's am Samstag in die Alb nach dem Hohenrechberg, auf die Hohe Teck und den Hohenstaufe.«
    »Famos!« schrie Nesthäkchen begeistert. Ilse zögerte, obwohl sie brennend gern den Ausflug unternommen hätte. Ihre Überlegungen galten der finanziellen Seite des Ausflugs. Ihr Vater war Beamter und konnte seiner Tochter in den schweren Zeiten nur ein sehr bescheidenes Monatsgeld aussetzen.
    »Wird's auch nicht zu teuer?« fragte sie errötend.
    »Teuer, wenn Studentle ausfliege tun? Mer habe alle ka Geld nit. Zweiter Klass' mit dem Zügle kost' nit alle Welt. Das Esse wird im Rucksack mitgenomme und brüderlich - schwesterlich geteilt«, beruhigte sie Egerling.
    »Fein!« rief Ilse erleichtert.
    »Was ischt fein?« Eine der Studentinnen, denen die drei Mädel unbeabsichtigt am ersten Mittag einen Besuch abgestattet hatten, hörte Ilses begeisterten Ausruf.
    »Wir wollen über den Sonntag in die Schwäbische Alb,

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