Nesthäkchen 07 - Nesthäkchen und ihre Küken
alten Sachen, zu denen Urmütterchen stets eine Geschichte wußte.
Die beiden Kleinen liebten den Aufenthalt bei den alten Damen weniger als ihre große Schwester. Dort durfte man nicht toben. Und wenn man irgend etwas anfaßte, sah Urmütterchen ängstlich über die Brille hinweg, ob nichts passiert sei. Viel lieber waren die Kleinen bei Onkel Hans und Tante Ola. Dort konnte man sich mit den beiden kleinen Vettern gründlich austoben. Auch im Tiergarten waren die Kinder meistens zusammen. Annemarie brauchte ihre Küken nur dem Kindermädchen auf dem Spielplatz zu übergeben und sie nachher wieder in Empfang zu nehmen. So war sie auch zum Spazierengehen überflüssig. Wollte sie der Hanne, die jetzt den Braunschen Haushalt allein besorgte, der vermehrten Arbeit wegen zur Hand gehen, stieß sie auf höchst energischen Widerstand.
»Jotte doch, Annemiechen, det war' ja noch scheener mit den verbrannten Arm! Schuften kennen Se in Lichterfelde. Hier sind Se zu Besuch und uff Erholung, Frau Doktern. Nee, nee! Dis mach' ich noch allens so janz pöh a pöh.« Das war es ja eben. Sie war zu Besuch zu Hause, zur Erholung, und nicht wie früher ein fest eingefügtes Glied. Gott, sie hatte sich ja früher als Mädel nicht gerade um häusliche Arbeit gerissen. Da hatte sie sich nur allzugern vor etwas gedrückt. Aber inzwischen war sie treibende Kraft in der eigenen Hauhaltsmaschine geworden und fühlte sich jetzt brachgelegt.
Wäre die dumme Brandwunde am Arm nicht gewesen, hätte sie dem Vater in der Sprechstunde assistieren können, wie sie das bei Rudolf hin und wieder tun mußte. Auch am Nähen hinderte sie die schmerzende Wunde; sonst hätte man versuchen können, ein paar Kittelchen und Röckchen für die Kinder zu schneidern. Besonders geschickt war Annemarie ja gerade nicht. Aber nun würde sie' swohl lernen müssen. Man konnte unmöglich alles neu anschaffen.
Die schönste Stunde des Tages war zwischen zwei und drei, wenn Rudi zum Essen heraufkam. Wie früher als Braut, stand Annemarie im Erker. Ja, das Herz klopfte ihr jedesmal vor Freude, bemerkte sie das Aufleuchten seiner Augen, wenn er zu ihr heraufwinkte. Frau Annemarie ertappte sich sogar dabei, daß sie auf ihre Kinder eifersüchtig war, wenn diese den Vater allzusehr für sich in Anspruch nahmen. Jeden Tag bestürmte sie ihn, wie weit die Arbeiten fortgeschritten seien, ob sie denn noch nicht bald an Heimkehr denken könnte.
»Weißt du, Lotte, wir könnten das eigentlich sehr übelnehmen, daß du dich von uns fortsehnst«, neckte sie der Vater.
»Er will mich ja gar nicht, der Undankbare. Er hat nur Augen für die Kinder. Ich existiere überhaupt nicht mehr für ihn«, beschwerte sich Annemarie scherzhaft, aber eine Spur Ernst war doch dabei.
»Hast recht, Frauli. Ich brauch' dich nimmer. Eine himmlische Ruh' herrscht jetzt draußen bei uns in Lichterfelde, wenn die Arbeiter nit grad' hämmern. Wirklich, ich könnt' den Herrn Pfefferkorn um seinen Junggesellenstand beneiden.« Annemarie packte ihren Mann bei den Ohren und zauste ihn gehörig. »Na warte, du frecher Kerl ...«
»Auweih, du hast zum Vater frecher Kerl gesagt.« Vorwurfsvoll klang es von Vronlis Lippen.
»Fecher Terl!« kam sofort das Echo von Klein-Ursel.
Hansi nahm als Mann gegen die Frau Partei und begann den Vater mit seinen kleinen Fäusten zu rächen. »Du, Muttißen, laß los! Laß Vaters Topf los. Du tust ihm sa weh, dem armen Vaterle.«
»Mutterli macht ja nur Spaß«, beschwichtigte Rudi seinen kleinen Verteidiger und gab Annemarie einen Kuß. Und als er dann zur Sprechstunde fortmußte und sie ihm das Geleit bis zur Türe gab, flüsterte er ihr ins Ohr: »Länger als vierzehn Tag' dürfen sich die Arbeiter nimmer bei uns breitmachen. Ich zähl' halt die Tag' bis du wieder daheim bist, Herzle.« Er schien den Junggesellenstand also doch nicht allzu beneidenswert zu finden.
Drüben am Fenster saß Margot Thielen von morgens bis abends in unermüdlichem Fleiße bei ihrer Tätigkeit. Das heißt, sie entwarf nur, stellte die Farben und Stoffe zusammen und vergab die Arbeiten. Die größten und vornehmsten Geschäfte rissen sich darum, Modelle von Margot Thielen zu bekommen. Seit dem Tode des Vaters war sie die Ernährerin der Familie. Sie ließ den Bruder studieren, die jüngere Schwester in der Handelsschule ausbilden und verschaffte der Mutter, die mittellos zurückgeblieben war, ein sorgenloses Alter. Margot Thielen hatte keine Zeit mehr, wie früher an die benachbarte
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