Nesthäkchen 07 - Nesthäkchen und ihre Küken
heute mittag alles besprochen. So schnell, meint er, wird es mit der Wiederinstandsetzung der Wohnung doch nicht gehen. Und gar zu lange dürft ihr die euch liebenswürdigerweise gebotene Gastfreundschaft nicht in Anspruch nehmen. Er allein kann sich mit seinem Sprechzimmer behelfen. Flora besorgt ihm alles. Zum Mittagessen kommt er zu uns herauf. Da ist er ja selbst; nun besprecht das miteinander, Kinder.« Ja, Rudi war auch dafür. Er hatte sich das reiflich überlegt. So war es sicher das Allerbeste. Und als Annemarie berichtete, daß ihre Küken bereits das Haus von Herrn Pfefferkorn in den wenigen Stunden auf den Kopf gestellt hätten, war die Übersiedlung beschlossene Sache.
Herr Pfefferkorn machte zwar lebhafte Einwendungen, daß man ihn so schnell des Vergnügens beraube. Aber als die Familie Hartenstein dann mit warmen Dankesworten und einem kleinen, schnell gepackten Köfferchen Abschied nahm, als kein »Juch mal, Onte Bubumann« mehr ertönte und jedes »Ding« auf seinem Platz lag, wo es zwanzig Jahre gelegen hatte, da empfand der alte Herr die Ruhe doch wieder ganz wohltuend. Gewiß, Familienfreuden haben viel für sich, aber - auch das Junggesellentum hat seine Lichtseiten.
Wieder im Mädchenstübchen
So wohnte Brauns Nesthäkchen wieder in ihrem Mädchenstübchen, und es war alles so wie früher und doch ganz anders. Wo einst das halbe Dutzend Puppen geschlafen hatte, schlummerten jetzt lebendige Püppchen, die allerdings ihrer Mutter bei weitem mehr zu schaffen machten als die früheren. Wieder preßte ein kleines Blondköpfchen das Näschen an das Fensterglas, wenn der Leierkastenmann unten im Hof aufspielte. Wieder tobte es im Braunschen Haus mit durchdringender Jungenstimme, wie das früher nur Klaus verstanden hatte. Und wiederum malte ein kleines Schulmädel mit Rattenschwänzchen eifrig i und n in ein Heft.
Ja, alles wie einst. Und doch so anders. Nesthäkchen fühlte sich nicht mehr so richtig daheim in dem Reich ihrer Kindertage und ihrer Mädchenjahre. Die allererste Zeit wohl. Da hatte sie ganz das Behagen ausgekostet, wieder Kind im Elternhaus zu sein. Aber bald kam sie sich überflüssig vor, wußte nichts mit ihrer Zeit, von der im eigenen Nest jede Minute kostbar gewesen war, anzufangen. Das Versorgen der Kinder nahm ihr die Mutter nur zu gern ab. Die Omama mußte es doch gründlich genießen, die kleine Gesellschaft mal ganz und gar da zu haben. War der Opapa daheim, hatte es Annemarie auch nicht nötig, die Kinder zu beschäftigen. Jede freie Minute verbrachte der Opapa in der Kinderstube. Er war unermüdlich im Erfinden von Spielen. Ja, selbst wenn Hansi während der Sprechstunde den Kopf zur Tür hineinsteckte: »Opapa, sind noch Pajenten da?« gab es keinen Anschnauzer wie daheim beim Vater. Meistens wurde Hansi sogar hineingerufen, mußte eine Patschhand geben und wurde mit Großvaterstolz präsentiert.
Für das leibliche Wohl der Kleinen sorgte die alte Hanne in geradezu rührender Weise. »Vor unsere Nesthäkchens« - da war Annemarie auch mit einbegriffen - »is mich nischt zuville«, versicherte sie jeden Mittag, wenn es zur Freude der Kinder zum Nachtisch stets eine Süßigkeit gab.
»Hanne, Sie verwöhnen mir die Krabben, wie soll ich sie wieder zur Einfachheit erziehen«, erhob Annemarie Einspruch.
»Ach, lassen Se man, Frau Doktern. Hungerpoten saugen kennen se draußen in Lichterfelde. Wenn se bei ihre olle Hanne hier in Schlorrendorf sind, sollen se ooch wat Jutet zu prapeln haben, unsere kleenen Nesthäkchens.«
Auch die Großeltern verwöhnten die Kinder. Annemarie konnte nichts dagegen tun. Sie taten ihnen allen Willen, und Klein-Ursel machte ausgiebigen Gebrauch davon. Selbst an ihren ungezogensten Tagen war sie in Lichterfelde nicht so eigensinnig gewesen wie jetzt. Vronli war noch am bravsten. Die ging am liebsten zum Urmütterchen hinüber. Dort saß sie auf dem kleinen roten Holzstühlchen, auf dem schon Omama und Mutti gesessen hatten, und lernte beim Urmütterchen den ersten Topflappen stricken. Ganz wie dereinst Brauns Nesthäkchen. Tante Albertinchen aber saß daneben im Lehnstuhl, wackelte mit dem Kopf und erzählte das alte Märchen vom Katerlieschen, das keiner weiter kannte als sie und das Vronli immer wieder hören konnte. Nirgends war es so gemütlich wie bei Urmütterchen und bei Urtantchen. Da zischten Bratäpfel in der Ofenröhre, was dem an Zentralheizung gewöhnten Kinde auch wie aus einem Märchen vorkam. Da waren all die hübschen
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