Nesthäkchen 07 - Nesthäkchen und ihre Küken
völlig unmotiviert der Kusine um den Hals: »Ach, Marlenchen, ich freue mich ja so, daß dir Peter Frenssen so gut gefällt!«
»Wirklich?« sagte Marlene lächelnd und nichts weiter.
Droben ließ man sich inzwischen den Truthahn schmecken. Da brachte Doktor Braun einen Toast auf die Jubilarin aus, und Hansi rief dazwischen: »Fas sagt denn der Opapa da immer für dumm Zeuß?« Danach war keine Rede mehr möglich. Sobald sich einer von seinem Platze erhob und an sein Glas klopfte, begannen sämtliche Urenkelchen - auch Kusine Elli aus Kiel hatte ihr Quartett mitgebracht, so daß es neun an der Zahl waren - im Chor, von Klein-Ursel angeführt, zu schmettern: »Hoß doll se leden, hoß doll se leden, deimal hoß!« Es war ein solcher Tumult, daß man sein eigenes Wort nicht verstand und daß selbst Hansi meinte: »Iß sa sreckliß, so'n Hadau!« Tante Albertinchen fand den Radau noch viel störender. Ihr alter Kopf brummte. Waren vielleicht die zwölf Torten von Hanne daran schuld? Tante Albertinchen hatte sich nämlich verpflichtet gefühlt, eine jede zu probieren. Auch war Hansi als Detektiv zu der Jubilarin geeilt: »Urmütterßen, Urtantsen fißt alle Nasen von dein Tuchenturm.« Das war der Baumkuchen. Da war es kein Wunder, daß sie, als die Eisspeisen gereicht wurden, bereits mit einer Gallenkolik und heißen Umschlägen im Bett lag. Hanne mußte ihr Pfefferminztee kochen.
Gegen sieben Uhr war »Urmütterßen Tinnerdesellschatt« - diese Bezeichnung stammte von Hansi - vorüber. Die alte Dame brauchte Ruhe. Und die kleinen Herrschaften mußten alle ins Bett.
Zum Schluß brachte das Geburtstagskind noch selbst einen Toast aus. Es sei zwar nicht Sitte, sagte sie launisch darin, daß man sich selbst berede. Aber sie mochte heute, wo sie den Lebensbecher fast bis zur Neige geleert habe, doch den Wunsch aussprechen, daß es ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln vergönnt sein möge, einst mit der gleichen vollen Befriedigung auf ihr Leben zurückzublicken, wie sie es heute tue.
Schwere Tage
Es war das letzte Mal, daß die Familie vollzählig versammelt gewesen war. Während noch die Hochs ertönten, während die Gläser klangen, nahte unsichtbar bereits einer und streckte die dürre Knochenhand nach Großmamas treuer Weggenossin aus. Tante Albertinchen stand nicht mehr auf von ihrem Lager. Auch die Kunst von Doktor Braun und seinem Schwiegersohn wollte nichts mehr nützen. Still und ohne viel Aufhebens davon zu machen, wie das ihre Art ihr ganzes Leben lang gewesen war, ging sie hinüber in das Reich der Schatten.
»Unser Urtantchen ist tot«, teilte Annemarie betrübt ihren Kindern mit. Es ging Annemarie recht nahe, der Abschied für immer von der treuen, alten Frau, deren Liebling sie seit ihrer Kleinkinderzeit gewesen war.
»Kann Urtantchen nun nicht mehr zu mir sagen: 'Annemiechen, Kind, du bist noch auf? Als deine Mutter solch kleines Mädchen war, ging sie immer schon um halb sieben ins Bett?'» Das schien Vronli die Hauptsache bei dem Ereignis. »Nein, Vronli, Urtantchen ist doch tot.« »S-terbste auch bald, Muttißen?«
Annemarie mußte über die teilnehmende Frage lachen, ob sie wollte oder nicht. »Ich hoffe, noch nicht so bald. Ihr braucht doch eure Mutti.«
»Nee ... och nee ... wir brauchen diß dar niß. Du tannst danz huhig mal 'n bissen s-terben.« Wirklich, Hansis kindliche Liebe ließ nichts zu wünschen übrig. »Mutterli, wo ist man denn, wenn man tot ist?« erkundigte sich Vronli. O Gott, war das schwer, dem Kinde die richtige Erklärung zu geben, wenn man selbst seiner Sache nicht so ganz sicher war.
»Du hast doch schon mal einen Friedhof gesehen, Vronli. Unter den Blumen in der Erde schlafen die Toten.« Das einfachste war es, sich mit der konkreten Tatsache herauszureden.
»Tante Albertinchen auch?«
»Ja, wenn sie beerdigt ist.«
»Stimmt nicht ... stimmt ganz gewiß nicht! Urmütterchen sagt, Tante Albertinchen ist jetzt im Himmel. Und die ist viel älter als du, Mutti, die weiß das besser.«
In ihrem ganzen Leben hatte das gute Tantchen Albertinchen Annemarie nicht solche Schwierigkeiten bereitet wie nach ihrem Tode. Aber es half nichts, Vronlis kluge, graue Augen verlangten eine Bestätigung.
»Ja, Vronli, Urmütterchen hat recht und Mutti auch. Du hast doch mal was von deiner Seele gehört; daß jeder Mensch eine Seele hat? Also die Seele, die kommt in den Himmel und der Körper in die Erde. So ... und nun wollen wir von etwas anderm sprechen.«
Tante Albertinchens
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