Nesthäkchen 07 - Nesthäkchen und ihre Küken
das denn nich jleich, jnädje Frau?« Die Frau ließ ihr Plätteisen im Stich und reichte der erstaunten Annemarie die Hand. »Ihnen lern' ich das Feinplätten janz for umsonst, jnädje Frau. Was der Herr Doktor Hartenstein is, der hat mir mein Paulchen, vor den keener mehr' n Sechser jeben wollte, wieder janz jesund jemacht! Und war ihm keene Stunde nich zu frieh und keene nich zu spät. Nee ... nee, kommen Se man, sooft Se wollen.«
Annemarie dankte der Frau herzlich und verließ glückstrahlend den Plättladen.
Und Hansi, der den Sinn der mütterlichen Worte: »Wird sich finden« im kindlichen Optimismus zu seinen Gunsten ausgelegt hatte, wurde nicht enttäuscht.
Annemarie kaufte den jubelnden Kindern eine Tafel Schokolade. Nun erging es ihr nicht mehr wie dem Hänschen in dem Lied. Nun würde sie sicher etwas erreichen.
Siebzigster Geburtstag
Der Winter war mit weißem Flockenpelz ins Land gezogen. Eisblumen blühten am Fenster. Der alte Junggeselle konnte nicht mehr hinüberschauen zu dem Nähtischplatz, wo Frau Annemarie jetzt ihren Küken von Schneewittchen und Frau Holle erzählte. Dafür bekam er die Kleinen aber häufiger zu Gesicht. Sie lieferten mit rosenroten Näschen lustige Schneeballschlachten in dem verschneiten Garten. Sie purzelten johlend auf der Straße von ihrem kleinen Rodelschlitten in das weiche Flockenbettchen - der winzige rote Punkt, die Ursel, immer tapfer mittendrunter. Ihr Stimmchen erschallte am lautesten, sie kommandierte energisch die Großen. Heute aber spähte der alte Herr vergeblich nach Ursels Rotkäppchen, nach dem treuherzigen Gesicht Hansis aus. Sie waren doch nicht krank, seine kleinen Freunde? O nein! Wäre die dichtverzweigte Eisblumendecke nicht am Fenster emporgewachsen, dann hätte Herr Pfefferkorn gesehen, daß Frau Annemarie mit ihren Küken schon vor einer Stunde die Straße entlang geschritten war, einen großen Karton in der Hand; die Kinder in großer Aufregung hinterdrein. Ging es doch zu Urmütterchens siebzigstem Geburtstag.
In der Straßenbahn teilte Hansi jedem Mitfahrer mit, daß »Urmütterchen sibten Debuttasch hat.«
»Was schenkt ihr denn der Urgroßmama?« fragte eine Dame.
»Einen Seiflappen ... ganz allein hab' ich ihn gestrickt. Es sind bloß drei Prudellöcher drin.« Vronli war ungeheuer stolz auf ihr erstes Werk.
»Und Hansi hat ein Törbßen defleßtet.« Die Bahnfenster erzitterten, so brüllte Hansi. »Oh, wie wird sich die Urgroßmama da freuen.« »Und du, Kleinchen, was schenkst du denn?«
»Jüschen Tusch!« Nun war die ganze Bahn über die Geschenke für Urgroßmütterchen orientiert.
Annemarie atmete auf, als man endlich am Ziel war.
»Bringst du mir auch Kuchen mit?« erkundigte sich die Dame noch scherzend bei Hansi.
»Iß wer miß sa hüten! Du hat Hansi sa auch teine Szotolade deßenkt.« Unter allgemeinem Gelächter verließ Annemarie mit ihren Küken die Straßenbahn. War das festlich in den lieben alten Räumen. Großmama in ihrem silbergrauen Damastkleid, das nur zu den feierlichsten Gelegenheiten das Licht erblickte, thronte in dem neuen Klubsessel, den ihre Enkel Hans und Klaus ihr heute verehrt hatten. Frisch und vergnügt nahm sie all die guten Wünsche in Empfang. Daneben saß Tante Albertinchen, aufgelöst vor Rührung.
Zunächst mußten die Kinder ihre Gedichte aufsagen. Annemarie hatte sich das eigentlich recht feierlich vorgestellt. Rudi hatte so hübsche Verschen für sein Trio verfaßt. Aber es kam ganz anders. Denn Klein-Ursel warf in jeden Vers der Geschwister den »jüschen Tusch«, den sie erst zum Schluß zu spenden hatte. Und Hansi, der kleine Pedant, rief dazwischen: »Dar niß rißtiß!« Vronli rettete die Situation, indem sie alle Verse, auch die von Hansi, hersagte, was ein empörtes Geheul auslöste. Mit geballten Fäusten ging der kleine weiße Hosenmatz auf Vronli los. Urmütterchen lachte Tränen über die merkwürdige Beglückwünschung. Auch Annemarie war heute gar nicht nach strenger Erziehung zumute. Die war so sprühend vor Lebensfreude und Glück, daß die Großmama diesen Tag so rüstig begehen konnte, daß Klaus, der sich natürlich dazu eingestellt hatte, bewundernd meinte: »Annemie, du wirst alle Tage jünger und hübscher.«
»Du, Kläuschen, derartige Komplimente sind bei andern Leuten mehr am Platz.« Annemarie blinzelte zur Tür hin, wo gerade Marlene und Ilse zum Gratulieren erschienen.
Klaus begrüßte die Jugendfreundinnen nicht gerade mit Komplimenten. »Fräulein
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