Nesthäkchen 07 - Nesthäkchen und ihre Küken
in der Not. Sie nahm der Mutter die Arbeit für die beiden Kleinen vollständig ab, daß Annemarie sich ausschießlich mit Vronli befassen konnte. Das Kind war heute glühend heiß trotz der Packungen. Wenn nur Rudi erst wieder daheim wäre!
»Muttißen, ich wollt' ich war' Tante Albertinchen und könnte auch mal ein bißchen ganz schnell in den Himmel hineingucken.« Wieder hörte Annemarie Vronlis Stimme, sah ihren sehnsüchtigen Blick.
Nein, nein, es war ja nicht möglich, daß man ihr das liebe Kind nehmen konnte! Im Nebenzimmer jubelten Hansi und Klein-Ursel über die drolligen Tierstimmen, die Tante Ilse beim Bauen des Zoologischen Gartens nachahmte.
»Tante Ilse is'neinjes Tamel, Ontel Tlaus soll se niß verhauen«, machte Hansi ihr sein Kompliment.
Annemarie mußte lächeln, obwohl Tränen ihr den Blick verschleierten. Schade, daß Klaus und Ilse nicht über die Kabbeleien ihrer Kinderjahre hinauskamen. Was gäbe Ilse mit ihrer Tüchtigkeit und ihrem warmen Herzen für eine prachtvolle Ehefrau ab! Wirklich schade!
Annemarie hatte im Lauf des Tages reichlich Gelegenheit, Ilses opferfreudige Hilfe kennenzulernen. Keine Arbeit war ihr zu schlecht. Sie wischte die Stuben auf und scheuerte die Töpfe. Annemarie durfte überhaupt nicht an den Kochherd. Sie ließ nicht eher nach, bis sich die Freundin eine Stunde hinlegte; denn Annemaries rosiges Gesicht war von den Nachtwachen und der Angst um Vronli schmal und blaß geworden. Aber obwohl Annemarie in Ilses Händen alles wohlversorgt wußte, fand sie lange keine Ruhe. Schließlich verlangte aber Annemaries Natur doch ihr Recht. Die Hand auf der Stirn des Kindes, schlief sie auf einem Stuhl am Bettchen fest ein. So fand sie der heimkehrende Rudi. Sein erster Blick galt der kleinen Kranken. Unter Annemaries Fingern standen feuchte Tröpfchen auf der Stirn Vronlis. Der sehnlichst erwartete Genesungsschweiß war eingetreten - das Kind war gerettet! »Weible ... Frauli ... wach auf, Herzle! Vronli wird gesund werden.«
Fest umschlungen standen die Gatten Hand in Hand am Bett ihres Kindes.
»Ich muß Papa nach Charlottenburg telefonieren, er weiß halt, daß heute der kritische Tag ist. Es läßt ihm nimmer Ruh'! Doktor Hartenstein eilte an das Telefon.
»Ja, was ist denn das? Der Hörer abgenommen und nit zurück auf die Gabel gelegt?
Annemie, das darf nit vorkommen, Kind. Es können doch inzwischen Patienten vergeblich angeläutet haben.«
»Richtig, die Vera hängt ja noch an der Quasselstrippe.« Annemarie war plötzlich wie ausgewechselt. Ihr durch Angst zurückgehaltener Frohsinn brach sich jetzt wieder Bahn. »Die Vera habe ich doch rein vergessen über das Vronli und über den Antritt unserer neuen Küchenfee. Du weißt noch gar nicht, daß wir eine Aushilfe bekommen haben. Heute ist wirklich ein Glückstag, Rudi.« Wie ausgetauscht war Annemarie vor Glückseligkeit.
»Laß von der neuen Donna gleich das Essen richten. Oh, bin ich froh, daß du entlastet bist, Liebling. Hoffentlich rückt sie nit wieder aus.«
»Juste, unser Vronli ist außer Gefahr, und der Herr möchte sein Essen und die Schuhe geputzt haben, weil er in die Stadt muß; aber ich soll es Ihnen nett sagen, damit Sie nicht etwa wieder ausrücken«, rief Annemarie übermütig in die Küche hinein. Ja, war die Annemarie vor Freude ganz und gar närrisch geworden, daß sie einer wildfremden Person derartige Mitteilungen machte? Und gleich darauf hörte Rudi die Antwort aus der Küche: »Die Schuhe kann sich der Herr jefälligst alleene putzen. Ick kann keene dreckigen Fingers mang meine Spätzli jebrauchen.« Die Stimme klang merkwürdig bekannt.
Erst mittags mit der Suppenterrine erschien Ilse vor dem Herrn. »Ick bin de Neue und muß mit Jlacehandschuhs anjefaßt werden«, stellte sie sich lachend vor.
Aber Rudolf faßte sie durchaus nicht mit Glacehandschuhen an, sondern packte sie an ihrem blonden Schopf. »Ilse, du bist halt a guetes Mädle ... a arg braves Bürschle bist!
Das vergessen wir dir unser Lebtag nimmer, daß du dich halt zu uns 'nausgewagt hast.«
»Auweh, die Jnädje kommt ... die Jnädje wird eifersüchtig.« Lachend machte sich Ilse los.
Die »Gnädige« aber war nicht eifersüchtig. Die Neue durfte sogar mit am Tisch sitzen und das Lob für die wohlgelungenen Spätzli gleich in Empfang nehmen. Das wurde das erste frohe Mittagessen nach schweren Tagen.
Mit Sack und Pack
Längst war der Schnee geschmolzen. Bunte Osterbeete waren verblüht, jauchzende
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