Nesthäkchen 07 - Nesthäkchen und ihre Küken
Kinderstimmen, die jubelnd einen Osterfund meldeten, waren verklungen. Die Kastanienbäume hatten ihre weißen Kerzen entzündet, und der Goldregen mit seinen Blüten leuchtete funkelndes Gold. Herr Pfefferkorn saß wieder unter seinem duftenden Flieder. Er freute sich, wenn seine blonde Freundin gegenüber ihm beim Spargelstechen den Morgengruß herüberwinkte. Wenn ihre Küken »Duten Moggen, Ontel Bubumann« herüberschrien. Wenn Vronli mit ihrem Schulranzen den pflichtschuldigen Hopsknicks vollführte und ihr Vater, der in die Praxis eilte, den Hut schwenkte: »Grüß Gott, Herr Nachbar.« Selbst das Brummen seiner Wirtschafterin störte Herrn Pfefferkorn nicht mehr als das Summen einer Wespe. Er wußte, wenn man sie nicht reizte, stach sie nicht.
Ja, es war ein wunderbarer Frühling in diesem Jahr. Ein endloses Blühen und Duften. Das Arztnest draußen in Lichterfelde war ganz von goldener Maiensonne durchflutet. Kinderlachen mischte sich mit Schwalbengezwitscher. Frau Annemarie sang bei ihrer Arbeit mit der Amsel im Lindenbaum unverdrossen um die Wette. »Ein Brief« - »Ein Biesch« - »Ein Bief von Ontel Tlaus« - »Von Onte Laus« durch den weißen Lattenzaun hindurch, über den sie noch nicht hinübersehen konnten, schrien die beiden Kleinen die Neuigkeit ihrem Freunde, dem Onkel Bubumann, zu. Herr Pfefferkorn brauchte erst nicht zu fragen, was denn darin stünde. Schon verkündete es Hansi der ganzen Straße mit einer Stimme, als ob er Extrablätter ausriefe: » Wir reisen danz destimmt auf die Puffpuffbahn zu Ontel Tlaus. Hansi muß siß dehaupt die Muhtühe und die jüjen tleinen Schweinchen anjehn. Und panße, panße tonnen wir da machen. Aber niß in die Badefanne, nee, in die droße Oßsee. Die is doll droß. Noch viel, viel drößer als Muttißens droße Waßsüssel. Und 'n Metterlingsnest nehm' iß mit und 'ne Siertommel und ... und ...«
»Und Lein-Usche die doße Wittelmomode«, versuchte Klein-Ursel den Bruder in angeborener Evaseitelkeit zu übertrumpfen.
»Der Tausend ... ja, nehmt ihr den Onkel Bubumann denn auch mit?« klang es über die Zeitung und den Fahrdamm herüber.
»Och, och, iß wer' miß sa hüten. Da is dar tein Patz in die Oßsee für den Ontel
Bubumann«, entrüstete sich Hansi.
»Onte Bubumann Hauje beiben!« bekräftigte auch Ursel.
»Da weint der Onkel Bubumann aber, wenn ihm keiner mehr 'Guten Morgen' herüberruft.«
Hansis gutes Herz war gerührt. »Flößen tann dir sa duten Moggen hüberßreien.« Mit diesem Ersatz mußte wohl der Onkel Bubumann zufrieden sein, denn statt zu weinen, lachte er über das ganze Gesicht.
Während die Kinder die Reiseprojekte bereits in die Welt hinausposaunten, saßen die Eltern am Frühstückstisch unter maigrünem Weingerank und erwogen das Für und Wider noch recht gründlich. Rudi vertrat das Für - Annemarie das Wider. Nein, es war unmöglich, ihren Mann auf so lange Zeit allein zu lassen. Daß Flochen mehr für den eigenen Magen sorgte als für den des Herrn Doktors, stand fest. Na ja, Hanne würde ihn in Pension nehmen. Gewiß, da hatte er keine Not zu leiden. Vater würde sich herzlich freuen, wenn er mittags mit ihm zusammen speiste. Schließlich hatte Annemarie aber doch die Waffen gestreckt. Den Kindern würde ein Aufenthalt an der See gewiß guttun, besonders dem Vronli, das nach der Krankheit wohl tüchtig in die Höhe geschossen war, aber trotz der Vorstadtluft blasse Schulfarbe hatte. Butter, Sahne und Geflügel konnten sie auf dem Gut beim Onkel Klaus futtern, soviel sie nur wollten. Alles Genüsse, die in einem sparsamen Stadthaushalt jetzt nur in beschränktem Maße zu haben waren.
Ach, und sie selbst - sie wollte es sich zuerst nur nicht eingestehen, daß sie sich schon manches Mal heraussehnte aus dem Gleichmaß des täglichen Pflichtenkreises, des ständigen Sorgens und Für-andere-da-sein-Müssens. Daß sie sich auch ganz gern mal wieder auf sich selbst besann, sich auch mal wieder an einen gedeckten Tisch setzen mochte, ohne das Essen selbst eingekauft und bereitet zu haben.
Ja, für eine Hausfrau war es sogar dringend notwendig, daß sie mal für einige Zeit aus der Tretmühle des täglichen Einerleis herauskam, um nicht zu erlahmen und wieder neue Spannkraft zu sammeln. In den sieben Jahren ihrer Ehe waren Hartensteins nur ein einziges Mal auf ein paar Tage im Spreewald gewesen. Rudi konnte seine junge Praxis nicht im Stich lassen. Annemarie mochte sich nicht von ihm trennen. Man hatte es ja auch so schön
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