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Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel

Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel

Titel: Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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exotische Leben in den Tropen hatte emporwuchern lassen, mit liebevoller Einsicht zurechtstutzen. Wenn sie nur erst hier wären!
    Mit leisem, unterdrücktem Seufzer griff Frau Annemarie nach dem großen Familienrahmen auf dem weißen Häkeldeckchen des Nähtisches. Die letzten Bilder aus Brasilien zeigte er. Da war zuerst der Kleinste, der Hansel. Ihn Juan zu nennen, dazu konnte sich auch Frau Annemarie nicht entschließen. Ihr Mann hatte schon zu sehr auf sie abgefärbt. Ein liebes Kerlchen, blond und blauäugig wie seine Mutter. Hier die Zwillinge nach einem Tennisturnier. Anita mit blitzenden Augen. Bei all ihrer lebensprühenden Schönheit fremd - nichts, gar nichts Bekanntes grüßte die Großmutter aus dem schönen Gesicht der Enkelin. Sie war ganz und gar Tavares. Und Marietta? Weichere, zartere Züge, der Mund erinnerte vielleicht an die Mutter. Aber die Augen, dunkel, tiefschwarz. Auch hier suchte die Großmutter vergeblich das Kind ihres Kindes.
    Über Miltons kühn geschnittenes Gesicht, das gereift und männlicher erschien, als sie es in der Erinnerung hatte, glitt ihr Blick schneller hinweg. Er war ihr Sohn, er machte ja ihr Kind glücklich - und doch nicht ihr Sohn. Fern und fremd war er ihr geblieben, obwohl er keinen Brief Ursels ohne seine Grüße abgehen ließ. Obwohl Frau Annemarie sich redlich Mühe gab, mütterlich für ihn zu empfinden. Hatte sie recht getan, daß sie damals vor sechzehn Jahren, mit all ihrer Energie, mit all ihrem Einfluß bei ihrem Mann für die Wahl ihrer Tochter eingetreten war? Oh, es gab Stunden, wo Frau Annemarie ganz und gar nicht davon überzeugt war. Wenn die Sehnsucht nach ihrer Jüngsten sie gar zu arg übermannte, dann hatte sie sich manches Mal gefragt, ob sie nicht damals hätte versuchen sollen, auf Ursel einzuwirken. Aber nein - nein, ihre Ursel hatte das Glück in der Ferne gefunden. Die Tür knarrte. Ihr Mann betrat das Zimmer. »Ei freilich, dacht' ich mir's doch, daß du mir wieder mal nach Brasilien entschlüpft bist, Fraule. Dein armer Mann kann sehen, wo er inzwischen bleibt. Aber ich mein', die längste Zeit hat's jetzt gedauert, die Trennung. Unser Herr Schwiegersohn muß auch daran denken, daß die Leute jenseits des großen Wassers auch nicht ewig leben. Eh' ich das Ursele nit noch mal wiedergesehen hab', geh' ich aber nit. Den Kontrakt hab' ich mit unserem Herrgott abgeschlossen.« Da klopfte es. Frau Trudchen erschien, »'s Telefon: Herr Geheimrat möchte doch gleich nach der Schloßstraße kommen zu Reißmüllers, der Kleine ist krank. Dolle Schmerzen im Leib hat er - wird woll Blinddarm sein.« Frau Trudchen, die vor mehr als zwanzig Jahren ihre Laufbahn als junges Hausmädel im Hartensteinschen Hause begonnen hatte, war selbst schon ein halber Arzt. Sie hatte später den Klinikdiener Kunze, der eigentlich gelernter Gärtner war, geheiratet. Nun half das Kunzesche Ehepaar im Haus, Garten und der Klinik.
    »Ach, Rudi, mußt du denn wirklich bei diesem Schneewetter fort? Und gerade am Sonntagnachmittag, wo die Kinder den weiten Weg herauskommen.« Ihr Mann gab keine Antwort, denn er war bereits am Telefon.
    »Lassen Se man, Frau Jeheimrat, was unser Jeheimrat is, der hört ja doch nich. Der nimmt ja doch keine Vernunft nich an. Ich werde ihm man noch fix 'ne Tasse heißen Kaffee reinholen.« Ehe noch Frau Trudchen mit ihrem Kaffee zurückkam, steckte der Geheimrat eiligst den Kopf zur Tür herein.
    »Grüß die Kinder, Annemie. Kunze soll sich bereit halten. Möglich, daß ich heute abend noch operieren muß.« Fort war er.

Im Kreise der Enkel
     
    »I, dacht' ich's mir doch!« Ärgerlich machte Frau Trudchen mit ihrem Kaffeebrett kehrt. »Da is Hopfen und Malz verloren, bei unsern Herrn Jeheimrat. Nu klingelt's - das sind Professors. Is man jut, sonst wird mir mein Kaffee noch kalt.«
    Ja, es waren Professors. Wie die Schneemänner hielten sie ihren Einzug. Der Gymnasialprofessor mit frühgelichtetem Haar, die goldene Brille vor den klugen Augen, sah fast wie der Vater seiner stattlichen Frau aus. Er trug seinen schwarzen Mantel, den »Schulmeisterrock« nannte ihn Vronli.
    Vronli, seine Frau, hatte sich wenig verändert. Ihr sympathisches Gesicht gehörte, ohne eigentlich hübsch zu sein, zu denen, an denen die Jahre fast spurlos vorübergehen, weil der Ausdruck den Zügen ihr Gepräge gibt. Gerda, das Töchterlein, hatte von beiden Eltern ihr Teil mitbekommen. Langaufgeschossen, mit glatten Blondzöpfen, die klugen, blauen Augen des Vaters in

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