Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel
in die sich ihr freundlich darbietenden Frauenhände. »How do you do?« gurgelte sie mit vorgeschobenem Unterkiefer. »Miß Smith - das Großpapa«, übernahm Anita die Vorstellung.
»Grüß' Gott, Fräulein Schmidt, ich hoffe, daß es Ihnen bei uns in Deutschland gefällt.« Ritterlich verneigte sich der Geheimrat.
»Fräulein Schmidt« sah nicht so aus, als ob der Anblick von Deutschland sie allzusehr begeisterte. Die Anrede des alten Herrn schien sie ebenso zu befremden, wie vorhin ihren Zögling. Sie murmelte pflichtschuldigst ihr »how do you do?« und stand dann wieder groß und steif da.
»Das ist Lotta, ist gereist mit uns nach Deutschland, zu suchen ihre Großmama.« Marietta zog ein kleines blondes Mädel hervor, das sich scheu hinter der langen Gestalt der Engländerin versteckte.
»Ah, das Lottchen! Meine Tochter hat mir schon im Brief von dir erzählt, mein Herzchen. Nun sollst du bei uns daheim sein, bis wir deine Angehörigen gefunden haben«, sagte Frau Annemarie gütig zu dem schüchternen Kinde. War es die liebe Art, waren es die deutschen Worte oder der Kosename, die das Kind an die tote Mutter erinnerten, es schlang die Arme um den Hals der fremden Frau und schmiegte sich an sie.
»Hier ist Homer.« Anita wies auf einen Negerjungen, der mit Handgepäck beladen sich bescheiden zur Seite hielt.
»Himmel, ganz Brasilien!« lachte der Großvater gutgelaunt. »Habt ihr uns sonst noch irgendjemand vorzustellen?«
»Ja, unser Freund Jimmy.« Anita nahm dem jungen Neger einen Käfig ab, in dem betrübt ein kleines Äffchen saß. »Jimmy«, sagte sie drollig vorstellend. »Es ist nicht gut, es ist krank von das Reise, es und das arme Miß.«
»Ein Affe - wirklich ein Affe?« Die Großmutter traute ihren Augen nicht. »Rudi!« Hilflos blickte sie auf den Großpapa. Sie schüttelte ihren Kopf und - lachte plötzlich hellauf. Die Komik behielt die Oberhand über alle ernsthaften Bedenken.
Dem Herrn Geheimrat kam die Sache weniger lustig vor. Er kratzte sich seinen schon etwas entlaubten Schädel.
»Das ist halt eine nette Bescherung!« brummte er vor sich hin.
Wieder mußte Frau Annemarie lachen. Ihr Mann machte auch ein gar zu betretenes Gesicht zu der unerwarteten Einquartierung. Anita stimmte in ihr Lachen höflich ein. Marietta wandte sich an die Großmama: »Mammi nicht wollte erlauben, daß Jimmy reist mit uns nach Europa. Sie hat gesagen, die Großeltern werden nicht sein erfreut mit es.« »Sind wir auch ganz und gar nicht«, brummte der Geheimrat dazwischen. »Aber weil Anita bat so sehr, es durfte fahren mit uns. Ich nicht liebe es, gar nicht. Und Miß Smith liebt Jimmy noch mehr wenig. Aber Anita liebt es sehr. Bitte, nicht fortgeben Jimmy, dann ist Nita traurig.« Die Liebe zu ihrer Zwillingsschwester ließ Marietta ihre Schüchternheit überwinden; ja, ließ sie sogar ein gutes Wort für den ihr immer noch unsympathischen Affen einlegen.
»Das wird sich alles finden. Nun mal erst das Gepäck. Ich werde das Gepäck besorgen.« Der Geheimrat hatte seine Besonnenheit wiedergefunden.
»Annemarie, geh mit den Mädeln zum Fährhaus 'nauf. Dorthin komme ich euch nach.« »Go on«, sagte die Engländerin und setzte sich in Bewegung.
»Wer geht mit mir?« fragte die Großmama, erwartend, daß die Enkelinnen den Arm in den ihren schieben würden, wie das die Berliner Enkel zu tun pflegten. Gab es dort doch jedesmal einen Wettkampf, wer die liebe Omama unterfassen durfte. Aber die Schwestern, die gewöhnt waren, stets miteinander zu gehen, schritten bereits Arm in Arm vor ihr her. Marietta, die das Hafengewühl und das Fremde bedrückte, klammerte sich fest an die größere. Die schritt sicher und selbstbewußt dahin.
Nur ein kleines Kinderhändchen schob sich schüchtern in Frau Annemaries Rechte. Lottchen ging an ihrer Seite, das fremde Kind ließ sich von ihr führen. Die Miß schwankte, als ob sie Wein getrunken habe. Sie empfand noch immer das Schaukeln des Schiffes. Gutherzig griff Frau Annemarie nach ihrem Arm, sie zu stützen. Die Seekrankheit schien noch immer nicht überwunden. Grün und gelb sah sie aus. Homer folgte mit Jimmy.
»Wie gefallen dir die Großeltern, Jetta?« entspann sich zwischen den vorangehenden jungen Mädchen halblaut auf portugiesisch das Gespräch.
»Die Großmama ist reizend. So hübsch, so lieb und noch gar nicht alt. Findest du nicht, daß sie unserer Mammi ähnlich ist, Nita? Wenn sie lacht, klingt es so, als ob Mammi lacht.«
»Ich weiß nicht - unsere
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