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Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel

Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel

Titel: Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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Frau Trudchen, die gerade genug zu tun hat, nicht auch noch mit warmem Abendbrot in Anspruch nehmen. Ganz abgesehen davon, daß der Großvater lieber abends sein belegtes Brötchen ißt und es auch für bekömmlicher erachtet.«
    »Muß kochen Donna Trudchen für uns Suppe, Fisch, Braten und Doces. Oder muß kommen Köchin, zu tun es.« Geld spielte ja bei dem reichen Mädchen gar keine Rolle. Die Großmama hatte ein Eckschränkchen am Büfett geöffnet und demselben Kuchen und Früchte entnommen.
    »So, nun eßt, Kinder, ihr sollt bei eurer Großmama nicht hungern. Aber denkt daran, daß ihr in unserem Hause zu Gast seid und daher die Verpflichtung habt, euch nach unseren Gepflogenheiten zu richten. Gute Nacht, Nita - gute Nacht, Jetta. Ich wünsche, daß es in zehn Minuten bei euch dunkel ist und ihr in euren Betten seid.« Frau Annemarie wandte sich zum Gehen.
    Da fühlte sie eine kleine Hand in der ihren, ein weiches Gesichtchen zärtlich an das ihre gepreßt. »Gute Nacht, liebe Großmama. Bitte, nicht böse sein. Wir nicht werden machen mehr Lärm in die Nacht.«
    Und gleich darauf Anitas lachende, helle Stimme: »Wir werden sein ganz brav und legen uns in Betten.«
    Bald danach war es still und dunkel in dem fliederumbuschten Haus. Doch es dauerte lange, bis Frau Annemarie Ruhe fand. So schwer hatte sie es sich nicht vorgestellt. Frau Annemarie lag und grübelte. Mariettas Zärtlichkeit soeben rührte noch in der Erinnerung warm an ihr Großmutterherz. Das war Ursels Kind, das war ihre Art. Mit Marietta wurde sie fertig trotz des tropischen Prinzessinnentums. Aber Anita? In ihrem ganzen Leben hatte Frau Annemarie noch nicht so verzagt vor einer Aufgabe gestanden. Ja, wenn Ursel, wie es von Anbeginn geplant war, mit herübergekommen wäre! Die Mutter hätte vermittelt, ausgeglichen, überbrückt, ihre Kinder mit den Sitten des großelterlichen Hauses vertraut gemacht. Eine große Sehnsucht nach ihrer fernen Tochter überkam Frau Annemarie.
    Frau Annemarie sollte im Laufe der ersten Woche ihr resolutes Wesen und ihre Energie recht notwendig brauchen. Nicht nur den Kindern, sondern auch deren Begleitern gegenüber. Da war zuerst die Engländerin. Dem Geheimrat war sie von Anfang an ein Dorn im Auge. Er ärgerte sich über ihre Länge und über ihre Steifheit. Seiner süddeutschen Gemütlichkeit war ihre zugeknöpfte Art vollständig entgegen. Sie störte ihn, wenn sie mittags so aufrecht und gerade wie ein dunkler Fleck in der Frühlingssonne an seinem Tisch saß. Daß sie sich gar keine Mühe gab, Deutsch zu sprechen, sondern verlangte, daß man sich in ihrer Landessprache mit ihr verständigte, hielt er für eine Anmaßung. »Ich werd' ihr halt was blasen und mit ihr englisch spucken«, knurrte er. »Ich weiß überhaupt nit, was die lange Hopfenstange hier in Deutschland will. Die Kinder sollen hier deutsch sprechen lernen und nimmer englisch. Sie sollen in eine deutsche Schule gehen. Die Ursel hätte die Miß ruhig drüben behalten und in Olivenöl konservieren können. Gelt, Frauli?«
    Das war im Grunde auch durchaus Frau Annemaries Ansicht. Sie hatte geglaubt, durch die Engländerin in dem vergrößerten Haushalt etwas entlastet zu werden. Für selbstverständlich hatte sie es gehalten, daß die Erzieherin ihr Zimmer und das ihrer Zöglinge aufräumen würde. Aber Miß Smith war durch die farbige Dienerschaft im Tropenland genau so verwöhnt wie ihre Pflegebefohlenen. Sie dachte nicht daran, sich irgendwie im Haushalt zu betätigen. Und als Frau Annemarie, nicht gewohnt, ein Blatt vor den Mund zu nehmen, ihr deutlich einen diesbezüglichen Vorschlag machte, lehnte die Miß ebenso deutlich ab. »Oh no, that is not my duty.«
    »Ja, was ist denn Ihre Pflicht?« entfuhr es der noch heute impulsiven Frau Geheimrat. »Jeder Mensch muß doch eine geregelte Tätigkeit haben. Mit der englischen Literaturstunde, die Sie den Mädeln erteilen und mit der ewigen Filethandarbeit ist doch Ihre Zeit nicht genügend ausgefüllt.«
    »Oh, I have to do much. I have to write many letters, every day I must write. Then I must go Shopping. I have to take a walk with the girls and to educate them.« Die Miß schien von ihrer anstrengenden Tätigkeit überzeugt.
    »Briefschreiben ist für uns eine Feierabendarbeit, Spazierengehen ist eine Erholung. Und die Erziehung meiner Enkelinnen - daß Gott erbarm!« Es war vielleicht ganz gut, daß die Miß nicht alles verstand, was Frau Hartenstein da in ihrem Ärger freiheraus sagte.

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