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Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Titel: Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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Hin und Her, dieses Für und Wider. Tue ich Lottchen und ihren Angehörigen etwas Gutes damit, wenn ich den Schleier über die Herkunft des Kindes lüfte? Wälze ich nicht neue Sorgen auf die ohnehin schon mit der Not des Lebens Kämpfenden? Und Lotte selbst, werden die einfachen, ja ärmlichen Familienverhältnisse sie nicht zurückschrecken? Und dann Frau Trudchen und Vater Kunze, denen Lottchen zum Mittelpunkt ihres Lebens geworden ist! Je mehr ich überlege, Großmama, um so mehr komme ich zu der Überzeugung, daß ich schweigen muß, daß - ich auch dir gegenüber hätte schweigen sollen.«
    »Da bist du auf einem Holzwege, Kind. Du bist verpflichtet zu sprechen. Du bist nur das Werkzeug in der Hand des Schicksals. Du mußt der alten Mutter die letzten Grüße ihrer Tochter überbringen, du mußt deren Vermächtnis in ihre Hände zurücklegen. Das ist deine Pflicht. Alles andere können wir nur dem da droben überlassen.« Beruhigend strich die alte, warme Hand über die junge, vor Erregung eiskalte der Enkelin. Und da war es Marietta, als ob die Hand der Großmama das selbstquälerische Wogen in ihr glättete, als ob eine wunderbare Ruhe von dieser liebkosenden Hand ausginge.
    Aber so ruhig, wie es den Anschein hatte, sah es in Frau Annemarie doch nicht aus. Jahre können dämpfen, mildern, aber den Kernpunkt des Wesens vermögen sie nicht zu verändern. Und der bangte mit der jungen Enkelin mit, ob sich Frau Annemarie auch noch solche Mühe gab, ganz gelassen zu erscheinen. Das Hauptaugenmerk war jetzt erst mal darauf zu richten, daß das Kind, die Jetta, innerlich zur Ruhe kam. Das zarte Nervensystem des jungen Mädchens hatte dem Wirbelsturm, der ihr Inneres ergriffen hatte, nicht standhalten können. Weder Frau Trudchen noch Lottchen durften vorläufig Mariettas Zimmer betreten. Jede neue Aufregung mußte vermieden werden. Aber diese Vorsicht schien gar nicht vonnöten. Sobald Marietta die sie bedrückende Last auf die Seele der Großmama abgeladen hatte, fühlte sie nicht mehr die schwere Verantwortung, das Hin- und Hergerissenwerden zwischen Wollen und Müssen. Sie hatte die Angelegenheit in Großmamas Hände gelegt, und sie wußte, daß diese gütigen Hände die verworrenen Fäden aufs beste entwirren würden.
    Diese folgte dem Rat ihres besten Freundes, ihres Mannes, und erwähnte die umwälzende Angelegenheit vorläufig überhaupt nicht. Das alles hatte Zeit, bis Marietta wieder gesund war.
    Aber dann, als die Enkelin einige Tage später zum ersten Mal wieder erfrischt ihre Tätigkeit aufgenommen hatte, glaubte Frau Annemarie das sie Tag und Nacht beschäftigende Geheimnis den Beteiligten nicht länger vorenthalten zu dürfen. Zuerst nahm sie sich Frau Trudchen vor, während Lotte in der Schule weilte. Beim Fensterputzen war es.
    »Sagen Sie, Frau Trudchen, unser Lottchen hat Ihnen doch eigentlich viel Freude gemacht«, begann die alte Dame etwas beklommen.
    »Klar«, sagte Frau Trudchen und rieb auf ihren Scheiben herum.
    »Und Sie wollen doch gewiß ihr Allerbestes.« Frau Annemarie atmete hörbar. Es war wirklich nicht so einfach.
    »Na, wenn Frau Jeheimrat das noch nicht wissen tun, denn ...« Der Nachsatz wurde, als nicht respektvoll genug, hinuntergeschluckt.
    »Dann müßten Sie sich auch in Lottchens Interesse freuen, Frau Trudchen, wenn sich ihre Angehörigen am Ende doch noch melden sollten.« Das war ein kühner Vorstoß. Frau Trudchen ließ den Lederlappen sinken und stand auf ihrer Leiter starr wie eine Bildsäule. »Is ja Mumpitz - is ja allens man Mumpitz!« beruhigte sie sich dann selber. »Haben se sich bis jetzt nich jemeldet, dann werden se woll auch jar mch mehr am Leben sein. Kunze sagt das auch.« Das Fensterleder fuhr quietschend über das Glas. Eine gewisse unbehagliche Erregung hatte doch von Frau Trudchen Besitz ergriffen.
    »Es könnte doch irgendein Zufall die Verwandten ausfindig machen. Aber wenn Sie Lottchen liebhaben, müssen Sie sich auch darüber freuen, Frau Trudchen«, verlangte Frau Annemarie.
    »Das hat ja Zeit, wenn' mal soweit kommen sollte.« Frau Trudchen rieb so heftig auf ihrer Scheibe herum, als könnte sie damit auch jedes ihre Ruhe trübende Fleckchen tilgen. »Es ist schon soweit gekommen, Frau Trudchen.« Für alle Fälle hielt die alte Dame die Zusammenfahrende stützend fest. »Kommen Sie lieber von der Leiter herunter.« »I, woher denn! Das hat ja schon oft so jeheißen und is nachher allens man dummes Zeug jewesen. Ich jlaube nu mal nich dran und

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