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Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Titel: Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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und ihre kleine Kusine Lenchen liebkoste.
    »Es wird wohl zum Besten des Kindes sein. Es soll nicht auch noch an unserer Not teilnehmen. Aber wir müssen Ihnen dankbar sein, liebes Fräulein, daß Sie die Lotte in einfachen Verhältnissen aufgezogen haben, daß sie sich nicht ihrer armen Verwandten schämt.«
    »Ihre verstorbene Schwester hat mir dies für ihre Mutter in Deutschland übergeben«, sagte Marietta und wurde rot, in dem Bewußtsein, um des guten Zweckes willen nicht die Wahrheit zu sagen. Sie händigte Frau Neumann eine ansehnliche Summe aus, den letzten brasilianischen Monatsscheck. Der bannte auf lange Zeit die Not aus diesem Stübchen. Als man dann mit warmen Worten geschieden war - jeden Sonntag sollte Lottchen künftig bei ihren Verwandten zubringen - fiel das Kind auf der dunklen Treppe Marietta um den Hals.
    »Fräulein Marietta, nun habe ich auch eine liebe Großmuttel wie Sie!«

Ostereier
     
    Am Ostersonntag war Anitas Hochzeit. Marietta wohnte dem Ehrentag ihrer Zwillingsschwester nicht bei. Das war unmöglich. Wuchs ihr doch ihre soziale Arbeit von Monat zu Monat mehr ans Herz.
    Draußen im Garten läuteten die gelben Osterglocken, die porzellanblauen und rosenroten Hyazinthenglockchen den Frühling ein. Sonnengoldene und kupferfarbene Tulpen wiegten sich im frohen Osterreigen. Da - ein gelber Zitronenfalter, der erste in diesem Jahr. Marietta sah ihm vom geöffneten Fenster nach, sah ihn in blaue Fernen verschwinden. Ein Seufzer hob die junge Brust, der gar nicht zu dem Frühlingszauber draußen passen wollte.
    Sie hatte es sich doch nicht so schwer gedacht. Heute empfand sie es, daß trotz äußerer und innerer Entfernung, obwohl sie sich mit ihrem Zwilling immer mehr auseinandergelebt hatte, doch ein enges Band der Zusammengehörigkeit sie beide verknüpfte. Die Arbeit, eine Verwaltungsabrechnung, lag unbeachtet vor ihr auf dem Schreibtisch. Nein, sie konnte nicht rechnen. Ihre Gedanken gehörten Anita, die heute den Bund fürs Leben schloß. Ob sie sich des Ernstes dieses Schrittes auch voll bewußt war? Ob nicht nur geschmeichelte Eitelkeit und andere äußerliche Dinge sie dazu gestimmt hatten?
    Marietta zog das Schubfach ihres Schreibtisches, das die Heimatbriefe enthielt, auf und nahm den obersten heraus. Auf gut Glück begann sie irgendwo das portugiesische Schreiben zu lesen: »Daß Du nicht mal zu meiner Hochzeit kommen willst, finde ich gar nicht nett von Dir. Ich habe ganz bestimmt damit gerechnet. Ist Dir Deine Schwester nicht mehr als alle Proletarierkinder? Übrigens habe ich Ricardo die Bitte seiner Schwägerin, für bessere Arbeiterbehausungen auf den Plantagen Sorge tragen zu wollen, unterbreitet. Er meinte galant, einer Bitte aus schönem Munde könne er nie widerstehen. Er will sich dafür interessieren. Er ist wirklich ein Gentleman. Mein Schwager Rodrigo ist untröstlich, daß Du nicht zur Hochzeit kommst. Wir haben es uns so nett gedacht, daß Ihr gleich miteinander Verlobung feiern könntet.« Da sah man's ja, was Anita die Ehe bedeutete. Marietta fuhr im Lesen fort. »Am untröstlichsten aber ist unsere Mammi. Ganz im geheimen, glaube ich, hat sie sogar damit gerechnet, daß Du die Großmama zur Hochzeit mitbringen würdest. Statt dessen putzt Du Deinen Hortkindern lieber die Schmutznäschen. Wirklich, ich müßte Dir sehr böse sein, Jetta, wenn - ja, wenn ich Dich nicht viel zu lieb hätte.« - Mariettas schwarze Augen füllten sich mit Tränen. Hier machte sich Anitas gutes Herz wieder geltend. Man konnte ihr niemals ernstlich böse sein. »Was sagst Du dazu, daß Horst auch nicht meiner Hochzeit beiwohnen wird?« las sie weiter. »Er tat zwar in letzter Zeit, als ob ich und meine Verlobung ihm ganz gleichgültig sei. Mammi ist traurig, daß er Brasilien für immer den Rücken gekehrt hat. Er bedeutete ein Stück Heimat für sie. Er ist nach New York gefahren, um dort eine Filiale von dem Tavaresschen Kaffee-Export einzurichten. Aber Ricardo und ich glauben nicht, daß er der Mann dazu ist. Er ist viel zu bescheiden und rücksichtsvoll, um sich in der amerikanischen Geschäftswelt durchzusetzen. Mammi fürchtet auch, daß er sich in dem Millionengewühl New Yorks trotz der guten Empfehlungen, die er mitbekommen hat, nicht wohl fühlen wird. Deutsche Gemütlichkeit findet er dort freilich nicht.«
    Marietta ließ den Brief sinken. Ihr Denken war in New York haftengeblieben. Oh, sie konnte es verstehen, daß Horst nicht an Anitas Hochzeitstag hatte dabeisein

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