Nestroy-Jux: Ein Wiener Kaffeehauskrimi (German Edition)
Gibt es überhaupt ein weibliches Wesen, mit dem ich ein paar
Worte wechseln kann, ohne gleich von irgendjemandem gemaßregelt zu werden?«
In diesem
Augenblick wurde es bei den Kartentischen wieder lauter. Der Herr Adi hatte offenbar
noch einmal einen Pagat Ultimo gewonnen. »Ihr habt’s keine Ahnung von dem Spiel«,
rief er triumphierend. »Mit euch spiel ich Verstecken in der Wüste! Leopold, eine
Runde Achteln, aber dalli! Die Verlierer zahlen!«
Dienstbeflissen
schenkte Leopold vier Gläser voll und brachte sie auf einem Silbertablett nach hinten.
Noch waren die legendären Tarockierer gut aufgelegt, aber was würden sie zu Frau
Hellers Plänen sagen, wenn sie von diesen erfuhren? Leopold hatte noch eine Vorahnung:
Auch im Kaffeehaus würden sich die Dinge nicht kampflos regeln lassen. Man konnte
die Menschen nicht einfach von einem Tag auf den anderen zu einer neuen Ordnung
umerziehen.
Thomas Korber
stand indessen an der Theke, und seine Gedanken wanderten zu Simone Bachmann. Er
hatte es Leopold gegenüber zwar nicht zugegeben, aber er war schon seit Beginn der
Proben in diese junge Frau verliebt.
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»Zur ernsten Besserung wie
zum totalen Bösewicht zu schwach, wandelt er den breiten Weg zwischen Reue und Verstocktheit.«
(Nestroy: Reserve und andere Notizen)
Es war noch zeitig in der Früh,
doch über Floridsdorf lag bereits drückende Schwüle. Ein weiterer heißer Tag kündigte
sich an. Im Café Heller werkte noch die Putzfrau, Leopold verrichtete seine ersten
Tätigkeiten, und Frau Heller bezog Stellung in ihrer kleinen Küche. Ein junges Pärchen
saß händchenhaltend in der Loge, zwei nicht mehr ganz so junge Männer mit Geheimratsecken
blätterten in den Zeitungen und rührten in ihren Kaffeetassen. Ansonsten ließen
die Ereignisse auf sich warten. Die Uhr zeigte ja erst halb acht.
Plötzlich
stand er in der offenen Tür. Der Backenbart glänzte im Morgenlicht, auf dem roten
Haar saß ein schwarzer Hut. Eine Sonnenbrille verdeckte die Augen, um den Hals war
ein rotes Tuch geknüpft. Darüber hinaus trug er noch ein zartgelbes Hemd, ein leichtes
braunes Sakko, die obligaten schwarzen Lederjeans und ebenso schwarze Schuhe. »Ich
bin Herwig Walters«, verkündete er feierlich. »Ist mein Freund Freddie Glomser da?«
Leopold
musterte den Gast mit noch verschlafenem Blick von der Kaffeemaschine aus. »Der
kommt normalerweise immer nur am Abend mit den Schauspielern«, gab er Auskunft.
»Im Augenblick ist er nicht anwesend, wie Sie sehen. Aber er kann ja noch kommen.
Wollen Sie einstweilen Platz nehmen? Ein kleines Frühstück vielleicht?«
»Glomser
nicht hier? Wie schade! Ich bin in Eile, ich muss gehen.«
Schon war
er wieder draußen. Da kam Frau Heller wie ein Blitz aus ihrer Küche geschossen.
»Herr Walters, so warten Sie doch einen Augenblick«, rief sie und lief ihm auf die
Gasse hinaus nach. »Herr Walters, ich muss Sie kurz sprechen. Endlich treffe ich
Sie einmal persönlich. Ich habe vor, das Kaffeehaus ein wenig umzubauen. Ein neuer
kultureller Treffpunkt soll hier entstehen. Vielleicht können wir demnächst gemeinsam
eine Veranstaltung organisieren. Sie beschaffen ein paar Künstler, und ich besorge
den Rest. Na, ist das nicht eine tolle Idee?«
Er drehte
sich kurz um. »Frau Heller, besprechen wir das ein andermal. Ich habe es wirklich
eilig. Ich muss meinen Freund Glomser suchen und laufe dann schon zum nächsten Termin.«
Er beschleunigte seine Schritte.
Frau Heller
schaute dem Hut nach und überlegte kurz, ob sie die Verfolgung aufnehmen sollte.
»Bitte warten Sie, Herr Walters«, schrie sie jetzt noch lauter. »Es dauert nur eine
Minute!« Doch der Hut tauchte in der morgendlichen Menge der sich zur Arbeit begebenden
Menschen unter.
Missmutig
stapfte Frau Heller zurück. Sie fand Leopold in der Küche hantierend. »Na, haben
Sie ihn noch erwischt?«, fragte er mit leicht ironischem Unterton. »Hat es sich
ausgezahlt, dass Sie das Ham and Eggs sträflich vernachlässigt haben?«
»Um Gottes
willen, das Ham and Eggs für Herrn Lohn!« Sie griff sich an den Kopf. »Schön, dass
Sie es gerettet haben, Leopold. In der Begegnung mit dem wahrhaft Großen vergisst
man eben zuweilen völlig das Irdische. Ich war, wie man so sagt, geblendet.«
»Von der
Sonne?«
»Nein, Leopold,
von dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit natürlich. Herr Walters hat ein Charisma,
dass es einem trotz der Hitze ganz kalt den Rücken hinunterläuft. Leider ist er
mir enteilt. Aber ich bin
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