Nestroy-Jux: Ein Wiener Kaffeehauskrimi (German Edition)
vornehmen.
Sie fühlte
sich in einer beschissenen Lage und gab ihrem Vater die Schuld daran. Und irgendwann
fragte sie sich, ob es überhaupt ihr leiblicher Vater war. Einmal, während einer
heftigen Diskussion ihrer Eltern, vermeinte sie, ihre Mutter sagen gehört zu haben:
»Das ist meine Tochter!« Seither bildete sich in ihr diese fixe Idee. Sie
sprach aber nicht mit ihrer Mutter darüber. Sie tröstete sich nur damit, dass der
Verursacher allen Unglücks womöglich gar nichts mit ihr zu tun hatte.
Anette Riedl
grübelte gedankenverloren vor sich hin. Dann waren sie plötzlich wieder da: die
Schritte.
Irgendwann
in letzter Zeit hatte es angefangen und wiederholte sich in unregelmäßigen Abständen.
Es beschlich sie das Gefühl, dass jemand hinter ihr herging, sich näherte und dann
wieder zurückfallen ließ. Anfangs hatte sie es nicht gewagt, sich umzudrehen. Als
sie es später doch einmal tat, bemerkte sie nichts Unauffälliges. Wer immer ihr
nachgegangen war, schien sich in Luft aufgelöst zu haben.
Heute hatte
sie sich beschwingt genug gefühlt, auch nach 23 Uhr noch den kleinen Spaziergang
durch die Jedleseer Straße nach Hause zu machen. Sie war ja kein ängstlicher Mensch.
Doch unversehens hörte sie es auf der vermeintlich leeren Straße wieder hinter sich:
trapp, trapp, trapp …
Sie befand
sich jetzt unweit des Einganges zum Aupark. Die Schritte wurden schneller. Sie drehte
den Kopf leicht nach links, um aus dem Augenwinkel heraus etwas erspähen zu können.
Da war tatsächlich jemand, der sich ihr näherte.
Sie blieb
stehen. Augenblicklich war es still. Als sie sich ganz umwandte, glaubte sie zunächst,
es sei niemand da. Hatte sich dieser Jemand wieder in Luft aufgelöst? Hatten ihre
Sinne ihr einen Streich gespielt? Nein, die Gestalt stand nun beim Park und beobachtete
sie, sie konnte es deutlich erkennen.
Einen Augenblick
lang traute sich Anette nicht weiter. Dann schrie sie laut auf und lief, bis sie
keuchend vor ihrer Haustüre ankam.
Die ganze
Nacht lang machte sie kein Auge zu.
6
»Etwas Verzweiflung, a bissel
Jammer, a wenig Wahnsinn – und zum Schluss – mein Gott, sterben müssen wir ja alle
– der Tod!« (Nestroy: Der gemütliche Teufel)
Leopold stierte mit traurigem Blick
von der Theke durchs samstagmittägliche Kaffeehaus. »Was ist denn heute los mit
dir?«, wollte Thomas Korber wissen. »Was soll diese weinerliche Grimasse? So kenne
ich dich gar nicht.«
»Ich schau
mir nur noch alles so an, wie es war, bevor es weg ist«, antwortete Leopold mit
tonloser Stimme.
»Du meinst,
wegen dem Umbau?« Korber konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Das hat doch
noch ein wenig Zeit. Da passiert erst im August etwas, wenn ich dir richtig zugehört
habe.«
»Das ist
schon schlimm genug. Aber du kennst meine Chefin ja. Wer sagt, dass sie so lange
warten möchte? Wer weiß, welche Gedanken ihr bereits im Kopf herumschwirren? Ich
würde mich nicht wundern, wenn ich am Montag hereinkäme und mich gar nicht mehr
auskennen würde«, jammerte Leopold.
»Na, ich
würde mir wegen der Sache nicht jetzt schon graue Haare wachsen lassen«, sah Korber
die Sache gelassen.
»Jedenfalls
trau ich der Sache nicht«, meinte Leopold. »Jede Minute kann die Katastrophe hereinbrechen,
wo die Chefin doch grad so aktiv ist.«
»Radioaktiv?
Hat da einer der Herren radioaktiv gesagt?« Herr Otto lehnte vor seinem Weinglas
und schien schon ziemlich einen in der Birne zu haben. »Nein, die Radioaktivität
wird nicht zur Auslöschung unseres Planeten führen. Die Menschen werden sich an
sie gewöhnen, und der eine oder andere Reaktorunfall wird höchstens dazu beitragen.
In zwei, drei Generationen wird sich unser Erbgut an sie angepasst haben. Es wird
wie bei den Krankheitserregern sein, die mittlerweile in friedlicher Koexistenz
mit den gegen sie eingesetzten Antibiotika leben. Die Strahlung, mit der wir übrigens
schon immer auskommen mussten, wird überschätzt. Die Gefahr für unsere Erde kommt
aus dem Weltall.« Er leerte sein Glas, ohne abzusetzen.
»Heute sind
Sie aber äußerst flott unterwegs«, bemerkte Leopold, der solcherart aus seinen trüben
Gedanken gerissen wurde. »So, als ob Sie dadurch entscheidend zur Rettung unseres
Planeten beitragen könnten.«
»Red nicht,
Leopold, sondern schenk mir noch ein Vierterl ein«, forderte Herr Otto ihn auf.
»Rettung gibt es keine, merk dir das. Wir sollten vielmehr unsere Tätigkeiten schon
langsam auf Grundbedürfnisse wie Essen und
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