Nestroy-Jux: Ein Wiener Kaffeehauskrimi (German Edition)
ich
herausfinden, wer dieser ›S‹ sein könnte?«
»Nein, natürlich
nicht. Das wäre zu auffällig. Wenn die Leute Verdacht schöpfen, dass wir herumschnüffeln,
werden sie eine Maske aufsetzen wie in den Theaterstücken auch. Wir können nur hoffen,
dass sie sich mit der einen oder anderen Kleinigkeit verraten.«
»Aber du
meinst, dass wir auf einen entscheidenden Hinweis gestoßen sind«, folgerte Korber.
»Jeder Hinweis
ist entscheidend«, belehrte Leopold ihn. »Wir dürfen nicht schon am Anfang den Fehler
machen, Dinge zu unterschätzen, die vielleicht wichtig sind. Wir haben einstweilen
eine Telefonnummer, den Anfangsbuchstaben eines Namens …«
»Und?«,
fragte Korber.
»Und, nicht
zu vergessen, eine Zigarre«, ergänzte Leopold. »Eine Zigarre, von der ich gerne
wüsste, welches Steinchen sie in dem Mosaik ist, das es zusammenzusetzen gilt.«
*
In einer Stunde kann viel geschehen.
Oft genügen schon Sekunden oder Minuten, um den Lauf der Welt zu ändern. Bei gewissen
Veränderungen meint man jedoch automatisch, dass sie längere Zeit in Anspruch nehmen.
Hat man erfolglos probiert, jemanden anzurufen, so wartet man ein wenig mit dem
nächsten Versuch. Man rechnet nicht damit, dass der andere Gesprächsteilnehmer so
schnell erreichbar sein wird. Auch Zahnschmerzen und Rauschzustände brauchen eine
Weile, bis sie wieder vergehen. Und wenn es in Strömen regnet, ist die Aussicht
auf Sonne für die nächste Zeit nicht gegeben.
Als Leopold
ins Café Heller zurückkehrte, waren die Gewitterwolken aber aus dem Gesicht seiner
Chefin verschwunden. Ihre Tochter Doris saß nicht mehr neben ihr, sondern lief eifrig
mit einem Serviertablett herum. Dafür hatte ein Mann gegenüber von ihr Platz genommen,
dessen graues Haar das schmale Gesicht mit der langen Nase in einer wilden Lockenfrisur
umrahmte.
»Na, Leopold?
Konnten Sie Ihre Zimmerstunden gut nützen?«, grüßte sie ihn mit verschmitztem Lächeln.
»Wir haben Sie gar nicht so sehr vermisst. Uns geht es hier prächtig. Dieser Herr
ist so nett, mir Gesellschaft zu leisten.«
Der Angesprochene
neigte kurz stumm den Kopf zum Gruß.
»Das Leben
hält offenbar immer wieder eine Überraschung für uns bereit«, fuhr Frau Heller fort.
»Herr Wondratschek kam bei uns im Kaffeehaus vorbei, weil er vorhatte, die Theaterprobe
zu besuchen und sich vorher noch ein wenig stärken wollte. Er war es nämlich, der
Herrn Walters als Regisseur vermittelt hat. Als ich ihm mitteilen musste, dass Herr
Walters gestorben ist, war er ganz aus dem Häuschen.«
»Ich war
immer ein großer Verehrer der Arbeit von Herrn Walters«, meldete sich der Mann mit
der Lockenfrisur zu Wort.
»Ich habe
gemeint, es ist besser für Herrn Wondratschek, wenn er den Probenbesuch fallen lässt«,
redete Frau Heller unbeirrt weiter. »Es soll ja die Polizei dort vorbeikommen und
allerlei Fragen stellen. Es wäre sicher unangenehm, wenn er da mit hineingezogen
würde.«
Leopold
erschienen die bisherigen Ausführungen seiner Chefin durchaus vernünftig. Es konnte
auch nur von Vorteil sein, dass ihre gute Laune wiedergekehrt war. Aber wo war der
Haken an der Sache? Er brauchte nicht lange zu warten.
»Wir haben
einen kleinen Rundgang durchs Kaffeehaus gemacht«, teilte Wondratschek mit.
»Not kennt
kein Gebot«, deklamierte Frau Heller genüsslich. »Herr Wondratschek ist nämlich
ein großer Kultur- und Theaterexperte. Er hat mir die Augen geöffnet und Perspektiven
für unser neues Kulturcafé aufgezeigt.«
»In erster
Linie wollen wir Künstler aus unserem Bezirk, oder solche, die in Floridsdorf geboren
sind, engagieren«, erklärte Wondratschek. »Das mögen die Leute. Die Stars des Abends
kommen aus ihrer nächsten Nähe. ›Theater mit Herz‹ könnten wir es nennen. Und wir
werden vergnügliche Abende bieten, die sich wohltuend von aufwändigen professionellen
Produktionen mit ihrem Hang zur Perfektion unterscheiden.«
»Einmal
oder gar zweimal die Woche«, ergänzte Frau Heller.
»Ich sehe
große Möglichkeiten auf dem folkloristischen Sektor«, führte Wondratschek weiter
aus. »Oder in der Gestaltung sogenannter Themenabende. Das Personal müsste dann
freilich nach dem jeweiligen Motto eingekleidet werden.«
»Was soll
denn das für ein Kasperltheater werden?«, konnte Leopold sich jetzt nicht mehr zurückhalten.
»Sollen wir etwa als Pausentrottel in Dirndl und Lederhose mit dem Kaffee durch
die Gegend rennen?«
»Als künstlerisches
Personal«, berichtigte Frau Heller
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