Nestroy-Jux: Ein Wiener Kaffeehauskrimi (German Edition)
grinste Leopold. »Dürfte ich vielleicht einen kleinen
Blick auf diese Kostbarkeiten werfen?«
Stössl zögerte.
War es richtig gewesen, dass er sein kleines Geheimnis preisgegeben hatte? »Der
Polizei müssen Sie es auf jeden Fall zeigen, Stössl«, redete Leopold auf ihn ein,
als er seine plötzliche Unschlüssigkeit bemerkte. »Die kassiert das unter Umständen
ein.«
»Was?«,
rief Stössl entsetzt aus.
»Keine Angst,
man wird es Ihnen wieder zurückgeben. Aber für mich als Liebhaber der Kunst ist
es dann vielleicht zu spät. Jetzt wäre gerade eine günstige Gelegenheit, die sollten
wir nicht verstreichen lassen.«
»Mord ist
Ihr Hobby, was?«, pfiff Stössl durch die Zähne. »Nun gut, des Menschen Wille ist
sein Himmelreich. Aber Sie bekommen von mir jedes Blatt einzeln in die Hand und
geben es mir auch einzeln wieder zurück, okay?« Er kramte die Mappe aus seiner Lade
hervor und breitete sie mit großem Zeremoniell vor Leopold und Korber aus. »Das
sind Zettel von unseren ersten Proben«, erläuterte Stössl. »Die Klaue ist ein Wahnsinn,
aber ich werde alles vollständig entziffern, und wenn ich Monate dafür brauche.«
Alles ging
sehr, sehr umständlich vonstatten. Das konnte eine echte Geduldprobe werden, und
es stand zu befürchten, dass in der Zwischenzeit die ersten Mitglieder des ›Floridsdorfer
Welttheaters‹ eintrudelten. Also nahm Leopold Stössl kurz entschlossen die Mappe
aus der Hand und blätterte selber darin herum, ohne ihn weiter zu beachten. Was
er fand, hielt er großteils für unbedeutendes Gekritzel. ›Zangler energischer‹,
konnte er ausmachen, oder ›Marie gut, dann zu leise‹, dann folgte wieder Unleserliches,
schließlich weiter unten ›Weinberl schneller zur Seite, um Wasser auszuweichen‹
und ›Gertrud zu schnell und undeutlich‹.
»Das sind
die Kritikzettel«, erklärte Korber. »Nach jeder Probe werden die Dinge besprochen,
die beim nächsten Mal besser gemacht werden müssen. Wie du siehst, steckt nicht
viel System dahinter. Der Regisseur schreibt auf, was ihm nicht passt, und geht
es am Schluss mit den Schauspielern der Reihe nach durch.«
Blätter,
die voll mit für den Augenblick gedachten Details waren und dann im Papierkorb landeten.
Nur einem Fanatiker wie Stössl war es zu verdanken, dass sie noch existierten. Leider
schienen sie für die Ermittlungen keinerlei Bedeutung zu haben. Leopold suchte verzweifelt,
ob sich unter den von Stössl geretteten Aufzeichnungen auch noch andere Notizen
befanden.
Da fiel
ihm ein kleineres Blatt mit deutlicheren Schriftzügen auf, das nicht so recht zu
den anderen zu passen schien. Das sah nicht so aus, als sei es nur für den Moment
bestimmt. Es enthielt die Namen der im Stück handelnden Personen zusammen mit einer
kurzen Beschreibung der wesentlichen Charakterzüge. Als Leopold es umdrehte, fand
er nur zwei mit Bleistift hingemalte Notizen: ›S. ansprechen‹ und ›271 22 73‹, offensichtlich
eine Telefonnummer.
»War dieser
Zettel auch im Papierkorb?«, fragte er Stössl, während er alles abschrieb.
»Nein. Auf
einer Bank«, kam es knapp von Stössl, der ein wenig den Beleidigten spielte, weil
man ihm die Mappe entrissen hatte.
Leopold
klopfte ihm kurz anerkennend auf die Schulter und gab ihm sein Heiligtum zurück.
»Danke, Sie haben uns sehr geholfen«, sprach er Worte des Lobes aus. »Deshalb gebe
ich Ihnen noch einen kleinen Tipp: Wenn Sie die Mappe der Polizei gegenüber nicht
allzu bereitwillig erwähnen, wird sie vielleicht auch niemand von Ihnen haben wollen.
Reden Sie also nichts über meinen Besuch. Das ist am besten, glauben Sie mir!«
Damit hatte
er Stössl, der sich zufrieden abwandte, um die Mappe wieder in die Lade zu legen,
neue Hoffnung gegeben. »Interessant«, meldete sich jetzt Korber zu Wort. »Bei ›S‹
könnte es sich um ein Mitglied unserer Theatergruppe handeln. Da kämen zwei Personen
in Frage: Sven Biedermann und Sonja Riedl.«
»Vergiss
nicht deine Simone Bachmann«, ergänzte Leopold. »Oder bist du schon wieder einmal
blauäugig?«
»Natürlich
nicht«, rechtfertigte sich Korber. »Ich habe nur nicht gleich an diese Möglichkeit
gedacht.«
»Es wäre
besser, du würdest mitdenken. Und ich hoffe, du bist in der Lage, dir trotz aller
Sympathie für die Dame, wie ich es vorsichtig nennen möchte, ein wenig Objektivität
zu bewahren. Du musst mir nämlich helfen, Thomas. Alles, was sich ab jetzt in eurer
Truppe abspielt, kann von größter Wichtigkeit sein.«
»Soll
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